Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 1/2

Bernhardinerhund: Tſhudis und Scheitlins Schilderungen. 155

in das Hoſpiz, der andere hinunter. Bei Unwetter oder Lawinenbrüchen wird die Zahl verdreifacht, und eine Anzahl von Geiſtlihen \{hließen ſi< den „Suchern“ an, welche von den Hunden begleitet werden und mit Schaufeln, Stangen, Bahren und Erqui>ungen verſehen ſind. Jede verdähtige Spur wird unaufhörlich verfolgt, ſtets ertönen die Signale; die Hunde werden genau beobachtet. Dieſe ſind ſehr fein auf die menſ<hlihe Fährte dreſfiert und dur<ſtreifen freiwillig oft tagelang alle Shluchten und Wege des Gebirges. Finden ſie einen Erſtarrten, ſo laufen ſie auf dem kürzeſten Wege nah dem Kloſter zurü>, bellen heftig und führen die ſtets bereiten Mönche dem Unglücklichen zu. Treffen ſie auf eine Lawine, ſo unterſuchen ſie, ob ſie nicht die Spur eines Menſchen entde>en, und wenn ihre feine Witterung ihnen davon Gewißheit gibt, machen ſie ſih ſofort daran, den Verſütteten freizuſcharren, wobei ihnen die ſtarken Klauen und die große Körperkraft wohl zu ſtatten kommen. Gewöhnlich führen ſie am Halſe ein Körbchen mit Stärkungsmitteln oder ein Fläſhchen mit Wein, oft auf dem Rücken wollene De>en mit ſih. Die Anzahl der dur dieſe klugen Hunde Geretteten iſt ſehr groß und in den Geſchihhtsbüchern des Hoſpizes gewiſſenhaft verzeichnet. Der berühmteſte Hund der Raſſe war Barry, das unermüdli< thätige Tier, welches in ſeinem Leben mehr als 40 Menſchen das Leben rettete.“

Dieſen Hund hat ein Dichter verherrliht, und Tſchudi führt das Gedicht in ſeinem Werke auh an; ih aber weiß ein no< beſſeres Gedicht, wenn es gleih niht in gebundener Rede geſchrieben wurde: die Beſchreibung, welhe Scheitlin von Barry gibt. „Der allervortrefflihſte Hund, den wix kennen“, ſagt er, „war nicht derjenige, welcher die Wachmannſchaft der Akropolis in Korinth aufgewe>t, nict derjenige, der als Becerillo Hunderte der na>ten Amerikaner zerriſſen, niht der Hund des Henkers, der auf den Befehl ſeines Herrn einen ängſtlichen Reiſenden zum Schuße durch den langen, finſteren Wald begleitete, niht Drydens „Drache“, der, ſobald ſein Herr ihm winkte, auf vier Banditen ſtürzte, etliche erwürgte und ſo ſeinem Herrn das Leben rettete, niht derjenige, der zu Hauſe anzeigte, des Müllers Kind ſei in den Bach gefallen, noh der Hund in Warſchau, der von der Brücke in den Strom hinabſprang und ein kleines Mädchen dem Tode in den Wellen entriß, nicht Aubr ys, der wütend den Mörder ſeines Herrn anpa>te und im Kampfe vor dem König zerriſſen hätte, niht Benvenuto Cellinis, der die Goldſchmiede, als man Juwelen ſtehlen wollte, ſogleich aufwe>te: ſondern Barry, der Heilige auf dem St. Bernhard! Fa Barry, du höchſter der Hunde, du höchſtes der Tiere! Du warſt ein großer, ſinnvoller Menſchenhund mit einer warmen Seele für Unglückliche. Du haſt mehr als 40 Menſchen das Leben gerettet. Du zogſt mit deinem Körblein und Brot und einem Fläſchlein ſüßer, ſtärkender Erquicfung am Halſe aus dem Kloſter, in Schneegeſtöber und Tauwetter Tag für Tag, zu ſuchen Verſchneite, Lawinenbede>te, ſie hervorzuſcharren oder, im Falle der Unmöglichkeit, ſchnell nah Hauſe zu rennen, damit die Kloſterbrüder mit dir kommen mit Schaufeln und dir graben helfen. Du warſt das Gegenteil von einem Totengräber, du machteſt auferſtehen. Du mußteſt, wie ein feinfühlender Menſch, dur<h Mitgefühl belehren können, denn ſonſt hätte jenes hervorgegrabene Knäblein gewiß nicht gewagt, ſich auf deinen Rücken zu ſeßen, damit du es in das freundliche Kloſter trügeſt. Angelangt, zogſt du an der Klingel der heiligen Pforte, auf daß du den barmherzigen Brüdern den köſtlihen Findling zur Pflege übergeben fönnteſt. Und als die ſüße Laſt dir abgenommen war, eilteſt du ſogleich aufs neue zum Suchen aus, auf und davon. Jedes Gelingen belehrte dih und machte dich froher und teilnehmender. Das iſt der Segen der guten That, daß ſie fortwährend Gutes muß gebären! Aber wie ſpra<ſt du mit den Gefundenen? Wie flößteſt du ihnen Mut und Troſt ein? J<h würde dir die Sprache verliehen haben, damit mancher Menſch von dir hätte lernen fönnen. Ja, du warteteſt niht, bis man dich ſuchen hieß, du erinnerteſt dich ſelbſt