Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 1/2

158 Vierte Ordnung: Naubtiere; fünfte Familie: Hunde.

ſeines getreuen Gedächtniſſes geſcheit nennen, da man ja im täglichen Leben jedes Kind mit gutem Gedächtnis und ſelbſt einen dummen Gelehrten, d. h. Vielwiſſer, für geſcheit hält. Dieſes Gedächtnis iſt eine Haupturſache zur Gelehrigkeit des Pudels. Doch bedarf er au< dazu Geduld, Gutmütigkeit und Folgſamkeit. Er kann wirkli<h trommeln, Piſtolen losſchießen, an Leitern hinauffklettern, frei mit einer Schar Hunde eine Anhöhe, die von anderen Hunden verteidigt wird, erſtürmen und mit Kameraden eine Komödie ſpielen lernen. Wir wiſſen, daß man au< Pferden und Elefanten Ähnliches und Gleiches lehren kann.

„Zwei Dinge kommen no< dazu: des Pudels Nachhahmungsſucht und ſein Ehrgefühl, d. h. ſeine Eitelkeit. Fmmer ſchaut er ſeinen Herrn an, immer ſchaut er, was er thut, immer will er ihm zu Dienſten ſtehen. Er iſt der rehte Augendiener; er denkt, wie ein Kind vom Vater, was dieſer thut, ſei re<ht, er müſſe oder dürfe es ebenfalls thun. Nimmt der Herr eine Kegelkugel, ſo nimmt er zwiſchen ſeine Pfoten auh eine, will ſie anbeißen und plagt ſih, wenn es ihm nicht gelingen will. Sucht jener Steine behufs wiſſenſchaſtliher Behandlung, ſo ſu<ht au< der Pudel Steine. Gräbt der Herr irgendwo, ſo fängt auh der Pudel mit den Pfoten zu graben an. Sigt jener im Fenſter, ſo ſpringt auch dieſer auf die Bank neben ihn, legt beide Taßen aufs Geſimſe und gu>t ebenfalls in die ſ<höne Ausſicht hinaus. Er will au< einen Sto> oder Korb tragen, weil er den Herrn oder die Köchin einen tragen ſieht. Er trägt ihn ſorgfältig, ſtellt ihn vor die Leute hin, geht von einer Perſon zur anderen, um zu zeigen, wie geſchi>t er ſei, und wedelt mit dem Schwanze ſelbſtgefällig. Während des Tragens bekümmert er ſih gar niht um andere Hunde; er ſcheint ſie als Taugenihtſe zu verachten, ſie aber ſcheinen ihn zu achten.

„Dex Pudel iſt der geactetſte (aber niht der gefürchtetſte) und auch beliebteſte Hund, weil er der gutmütigſte iſt. Kindern iſt er ganz beſonders lieb, weil er auf jede Weiſe ſich ne>en und auf ſih reiten, ſi< zupfen und zerren läßt, ohne zu knurren, zu beißen und ungeduldig zu werden. So gefräßig er iſt, ſo kann man ihm doch das Freſſen oft aus ſeinem Rachen wieder hervorholen, was ſehr wenige Hunde zulaſſen. Den, welcher ihn einmal geſchoren, kennt er für ſein ganzes Leben und ſchaut ihn darum an, wo er ihn trifft. Kommt er nach Jahresfriſt wieder ins Haus, um ihn zu ſcheren, ſo rennt er augenbli>li<h weg und verbirgt ſich: er will niht geſhoren ſein. Aber ſeinen Mann kennend, läßt er ſi willig aus dem Winkel und Dunkel hervorziehen und fügt ſih ohne Widerſpruch in die Notwendigkeit. Wird er von einem tollen Hunde gebiſſen, und kommt der Henker ihn zu holen, ſo weiß er augenbli>lih, was ihm droht. Er verbirgt ſi, ſein Auge wird fogleih trübe und erſhro>en, doh wehrt er ſih niht. Den Todesſtih oder Schlag empfängt er, wie die Pferde, mit ruhigem Herzen. Wird er krank und einem Arzte übergeben, fo unterzieht er ſi der Kur ſehr gutwillig, und wie der ODrang-Utan merkt er ſhnell, was ihm dienlich ſei. Kein Tier erkennt ſo ſ<hnell die Meiſterſchaft des Menſchen, daß es ihm gehorchen folle und müſſe, und daß der Gehorſam das beſte für ihn ſei. Sehr artig iſt zu ſehen, wie er ſeinen Herrn ſucht. Er läuft mit geſenktem Kopfe die Straße lang, ſteht ſtill, beſinnt ſich, kehrt wieder um, bleibt an der anderen Ee der Straße wieder ſtillſtehen, denkt mehr, als er ſchaut, beſchreibt Diagonalen, um ſchneller irgendwo zu ſein, 2c. Artig zu ſehen iſt auch, wenn er ausgehen will und nicht ſoll, ſeinen Herrn überliſten will, wie er ihn zu über: ſhleichen ſucht, thut, als wenn er nicht fort wolle, wenn man ihn niht anſchaut, plößlih Neißaus nimmt oder mit füchſiſher, überhündiſcher Liſt an der Wand ein Bein aufhebt, als ob ex piſſen müſſe, damit man ihn hinausjage, und wenn man ihn hinausjagt, augenbli>& li, ohne zu piſſen, zum Schlachthauſe oder zu einer von ſeinen Buhlen läuft, wenn man ihm aber niht glaubt, endlih alle Hoffnung, entwiſchen zu können, aufgibt, mit vollkommener Entſagung ſih unter den Tiſh legt und das Piſſen läßt und vergißt. Er hat vollfommen wie ein Menſch gelogen.