Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 1/2

Pudel: Scheitlins Schilderung. 159

„Es daxf uns niht wundernehmen, wenn viele Beobachter dem Pudel menſchliche Verſtandsgeſchiflichkeit zuſchreiben. Und wirklich iſt kein Menſch in Beobahtungsumſtänden geſchi>ter, keiner äußert ſeine Ungeduld, wenn man ihn nicht berüdſichtigt, beſſer als der Pudel. Ex prüft vorher ſorgfältig, ehe er entſcheidet, und er will ſi<h nicht täuſchen laſſen und auh niht ausgela<ht werden. Mit Prügeln kann man den Pudel nichts lehren; er iſt nur ängſtlih, verwirrt, thut immer weniger, ganz wie ein Kind, welches weinend lernen muß. Doch liſtig thut er auch bisweilen ganz dumm. Mit gutem kann man ihm fogar an Widriges gewöhnen und Dinge eſſen oder trinken lehren, welche er ſonſt verſ<hmäht. Manche Pudel werden und ſind ſo recht eigentliche Kaffeefraubaſen und ziehen dieſes Getränk unbedingt jedem anderen vor.

„Sonderbar iſt es, daß der Pudel, je gutmütiger und verſtändiger, um ſo weniger ein guter Hauswächter iſt, deſto minder auf den Menſchen abgerichtet werden kann. Er liebt und ſchäßt alle Menſchen; will man ihn gegen einen Menſchen reizen, ſo ſchaut er nur ſeinen Herrn und deſſen Gegner an, als ob er denke, es könne ſeinem Herrn niht möglich ſein, ihn auf einen ſeinesgleihen zu heßen. Man könnte ſeinen Herrn morden, ohne daß er ſih für ihn wehrte. Gegen ſeinen Herrn iſt er ſtets unterwürfig im höchſten Grade, er fürchtet nicht nur die SHhläge, ſondern ſhon den Unwillen, das Wort, den drohend verweiſenden Finger

„Pferde und Hunde ſcheinen unter allen Tieren am erſten erſhre>t werden zu können, der Pudel kann ſogar erſtaunen, d. h. es kann ſeine Beurteilungskraft plößlich ſtillgeſtellt werden. Ein Pudel verfolgte einen Raben auf einer Wieſe. Der Rabe ſtellt ſih gegen ihn, auf einmal ruſt er den Hund an: „Spigbube, Spigbube!“ — erſhro>en fährt der Hund zurü>, ſein Verſtand ſtand ihm ſtill: ein Tier, ein Vogel und — eine Menſchenſtimme! Der Pudel iſ nie gern allein; immer ſu<ht er Menſchen auf. Die erſten ſind ihm die beſten. Er gibt ſi< niht gern mit Hunden anderer Art ab, und will er ſpielen, ſo thut er es mit Pudeln, wenigſtens vorzugsweiſe. Mit ſolchen erfreut er ſi< dann ſehr. Andere Hunde ſcheint er zu haſſen oder ſie ihn, wahrſcheinlih, weil ſie ihn als einen beſonderen Menſchenfreund und vorgezogenen oder als den höchſtbegabten unter den Hunden anſehen und ihn darum nicht leiden mögen. Der Pudel liebt die Freiheit ungemein. Er kommt und geht wieder. An der Kette iſt kein Hund gern, am allerwenigſten der Pudel, er verſteht , ſich davon auf alle Weiſe loszumachen, und erprobt darin ſeine Künſte, Stricke zu zerreißen und zu zerbeißen. Aus Shhleifen zieht er den Kopf; er kann gerade ſo wie ein Menſch jauchzen, wenn er entfettet wird, und vor Freude ganz unſinnig thun.“

Von ſeinen Erfindungsgaben, um ſi frei zu machen, erzählt Giebel eine anmutige Geſchichte. „Jn einer der Hundeſteuer unterworfenen, großen Stadt fing der Abde>er, wie üblich, alle markenloſen Hunde ein und ſte>te Groß und Klein, Alt und Fung, Schön und Häßlih in einen weiten Schuppen, wo ſie ihr unverſhuldetes Unglück in dem lauteſten Jammergeheul beklagten. Der verſtändige Pudel allein ſaß ruhig, in ſein Schi>ſal ergeben, im Winkel des Gefängniſſes und ſah bald, auf welche Weiſe die Thür geöffnet wurde. Der Weg zur Freiheit war ihm damit gezeigt. Er ging flugs an die Thür, zog mit der Pfote den Drücker nieder, öffnete die Thür, und auf ſeinen Wink folgte die ganze Schar der Gefangenen. Jm Sturmſchritte und lärmend eilte ſie, im Thore die Wache unter das Gewehr rufend, in die Stadt hinein, und jeder kehrte zu ſeinem Herrn vergnügt zurü>.“

Doch was ließe ſi< niht über den Pudel noch alles ſagen! Man könnte über ihn allein ein ganzes Buh ſ<hreiben! Dex Pudel wird beſonders in der Lombardei, vielfach aber auh in Deutſchland neben dem Schäferhunde und gewöhnlichen Hunden zum Trüſſelſuchen abgerichtet.

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