Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 1/2

170 | Vierte Ordnung: Raubtiere; fünfte Familie: Hunde.

genug über ihre ſtarke Natur verwundern, worin ſie die Pferde bei weitem übertreffen. So hat man auh vor den Stürmen allezeit die ſicherſte Nachricht von dem herannahenden oder fommenden Ungewitter dur< die Hunde; denn wenn ſie im Schnee graben und ſi< dabei legen, mag man, wofern zu weit von Wohnungen entfernt, ſicherlich einen Ort ſi< aufſuchen, wo man ſi< vor dem Sturme verbergen ftann.

„Die kamtſchatkiſhen Schlitten ſind na< Kräften der Hunde und nach der gebirgigen Gegend dergeſtalt ausgedaht, daß ſolche der geſchi>teſte Mechanikus nicht beſſer hätte erfinden können. Sie ſcheinen ihren Grund aus der Anatomie und Bildung des menſchlichen Körpers zu haben. ODben iſt ein länglihhohler Korb, der aus lauter gebogenen Hölzern und zwei dünnen, langen Stöcken beſteht, daran dieſelben mit Riemen feſtgebunden ſind. Dieſes Gegitter nun iſ überall und auf allen Seiten mit Riemen umwunden, und biegt ſih alles daran, ohne zu zerbrechen; briht au< ein Hölzchen, ſo laſſen do< die Riemen den Korb niht auseinander fallen. Man ſigt darauf mehrenteils auf einer Seite, um ſogleih bei einer gefährlichen Stelle herabſpringen zu können. Zuweilen ſeßt man ſi< auf mehreren Orten darauf wie auf ein Pferd. Die Hunde laufen ihren Weg, will man zur Linken, ſo ſ<hlägt man mit dem Stoke zur reten Seite an die Erde oder an den Schlitten, will man zur Rechten, ſ{<lägt man an die linke Seite des Schlittens; will man ſtill halten, ſte>t man den Sto> vor den Schlitten in den Schnee; fährt man einen ſteilen Berg hinab, ſo ſtet man den Sto> in den Schnee zwiſchen das Vorderbogenholz und hemmt daduxh ein. Ungeachtet man nun fährt, ſo wird man doch ebenſo müde, als wenn man zu Fuße ginge, weil man die Hunde beſtändig zurückhalten, bei ſ{<limmen Wegen vom Schlitten abſpringen, daneben herlaufen und den Sthlitten halten muß; fährt man einen Berg hinauf, ſo muß man ohnedies zu Fuße gehen. Noch eine Beſchwerde verurſachen die dichten Wälder, dur<h welche man fahren muß. Selten trifft man einen geraden Baum an, ſondern fährt zwiſchen den Äſten und Zweigen dahin, dabei man immer in Sorge ſteht, Arme und Beine zu zerbrechen oder die Augen aus dem Kopfe zu verlieren. Übrigens haben die Hunde die ſhelmiſche Eigenſchaft, daß ſie aus allen Kräften ziehen und laufen, wenn ſie an einen ſolhen Wald, Fluß oder ſteilen Abhang kommen, weil ſie wiſſen, daß ſie ihren Herrn herabwerfen, den Schlitten zerbrehen und auf dieſe Art von der Laſt, zu ziehen, befreit werden können.

„Der andere Hauptnugen der Hunde, weshalb ſie auh ſo häufig gehalten und gezogen werden, iſt, daß man ſowohl den abgelebten Schlittenhunden als den zur Fahrt untauglichen die Häute abnimmt und zweierlei Kleider daraus macht, welche in dem ganzen Lande von großem Nußen und großem Werte ſind. Dieſe Kleider haben vor dem übrigen Pelzwerke folgende Vorzüge: erſtens ſind ſie die prähtigſten Staats- und Feiertagstleider von uralten Zeiten her; zweitens ſind ſie ſehr warm; drittens ſehr dauerhaft, da ſie in den größten Strapazen wenigſtens 4 Jahre aushalten; viertens brauchen dieſe Kleider nicht ſo ſehr wie andere in aht genommen zu werden: ſie laſſen die Haare nicht fahren und ſind allezeit tro>en.

„Je längere Haare die Hunde haben, je höher werden ſie geſhäßt. Diejenigen Hunde aber, ſo hohe Füße, lange Ohren, ſpiße Naſen, ein breites Kreuz, unten breite Füße und na<h den Ohren zu di>e Köpfe haben, ſtark freſſen und munter ſind, werden von Fugend auf zu Schlittenhunden auserleſen und auf folgende Art belehrt und abgerichtet. Sobald ſie ſehen, werden ſie ſamt der Mutter in eine tiefe Grube gelegt, daß ſie weder Menſchen noch Tiere zu ſehen bekommen, und ernähren ſelbe dadrinnen. Wenn ſie von der Hündin abgewöhnt ſind, legen die Kamtſchadalen ſolche abermals in eine Grube, bis ſie erwachſen. Nach einem halben Jahre ſpannt man ſie mit anderen gelernten an den Schlitten und fährt mit ihnen einen kurzen Weg. Weil die jungen Tiere nun hunde- und leuteſcheu ſind, ſo laufen ſie aus allen Kräften. Sobald ſie wieder nah Hauſe kommen, müſſen ſie wieder in