Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 1/2

Fuchs: Gefangenleben. Reineke im Bärenzwinger. 185

jämmerlich mit einem Stökchen durch; er wurde aber deſto raſender, war ganz außer ſih vor Wut und wollte immer auf mich losbeißen. Das iſt das einzige Mal geweſen, wo er mih oder ſonſt jemand abſichtli<h gebiſſen hat.“

Eine allerliebſte Fuchsgeſchichte erzählt Fäger, der frühere Vorſteher des Wiener Tiergartens. „Reineke Fuchs, der Held der mittelalterlihen Tierfabel und der gefürchtete Feind von allem, was fleu<ht und kreu<ht, ſpielt im Tiergarten eigentlich eine Élägliche Rolle. Da dieſer Landſtreicher einer anſtändigen Erziehung ſhwer zugänglich iſt und ſeine Enthaltſamfeit im Tiergarten wirklih auf eine harte Probe geſtellt würde, wenn man es verſuchen wollte, ihm freieren Spielraum zu gewähren, wird er gewöhnlich zu geiſttötender Einzelhaſt in einem beliebigen Käfig verurteilt, und die Folgen ſind bei ihm dieſelben wie bei einem menſ<lihen Verbrecher, den man in die Einzelzelle ſte>. Nach einigen vergeblichen Verſuchen, ſeine Freiheit zu erlangen, ergibt er ſi< mit Gleihmut in fein Schikſal. Seine Geiſteskräfte verlieren ihre Shmiegſamkeit; er ſißt den ganzen Tag in ſtillem Brüten verſunken, betrahtet teilnahmlos ſeine-Begaffer und führt ſein Gefangenleben mit einer muſterhaften Ergebung wie ein vollendeter Weltweiſer. Er, dieſes ſchlaueſte, erfindungsreichſte, in ſeinem Erfindungsreihtum ſogar wißige Geſchöpf, bietet das vollendetſte Bild eines zur Einzelzelle verurteilten politiſchen Verbrechers, welcher zu ſtolz iſt, ſein inneres Leid zur Schadenfreude ſeiner Peiniger zu enthüllen. Aus dieſen Gründen iſt es für mi<h immer ein unangenehmes Ereignis, wenn ein Gönner des Tiergartens einen dieſer Freigeiſter mir mit der Bitte übergibt, ihn in getreue Obhut zu nehmen. Jh erſcheine mir wie ein Kerfermeiſter und ziehe es in vielen Fällen vor, den armen Teufel zu Pulver und Blei zu begnadigen, als täglih aus ſeinem Blicke den Vorwuxf zu leſen, daß ih ein zur Freiheit geborenes Weſen in geiſttötender Gefangenſchaft halte.

„Sine Anwandlung von ſolchem höchſt unſtaatsmänniſchen Gefühle brachte mich einſtz mals auf den Gedanken, Meiſter Reineke in den Bärenzwinger zu werfen. Jh konnte den mir wie Vorwurf klingenden, teilnahmloſen Blik nicht länger ertragen. Aus ſeiner Lage mußte er unter allen Umſtänden befreit werden, ſei es tot oder lebendig. War er wirklich der, als welcher er gilt, der Erfindungsreiche, nie in Verlegenheit zu ſeßende, in alle Verhältniſſe ſih fügende, nun ſo mußte er ſi<h wohl auch in einer ſo ungeſhla<hten Geſellſhaft, wie der Bärenzwinger ſie ihm bot, zurechtfinden; wenn niht, ſo blieb es für ihn gleichgültig, ob ein Bär ihn verſpeiſte oder eine Piſtolenkugel ſeinem Leben ein Ziel ſeßte. Kurz, eines ſhönen Tages ſah ſich Freund Reineke nah mehrmonatlicher Einzelhaft plößlich auf ein, ſeinem Verſtändniſſe zu leben, würdiges Feld gebraht. Jm erſten Augenbli>e mochte es ihm vielleiht ebenſo ſonderbar vorkommen, wie wenn ein großſtädtiſher Stußer mitten unter die Gäſte einer Bauernhochzeit verſeßt wird. Aber offenbar mußte ihm ſogleih das Sprichwort: „Bange machen gilt nicht“ eingefallen ſein. Mit einer Gleichgültigkeit, wie ein Stugßer ſeine Halsbinde zure<htlegt, ſchüttelte er ſeinen Pelz und betrachtete ſich die vier ungeſhla<hten Lümmel in Ermangelung eines Sehglaſes mit ſeinen eigenen Augen. Wie die Weiber ſtets die größte Neugierde entwi>eln und die Häßlichen auf einem Balle einen neu ankommenden Tänzer am aufmerkſamſten muſtern, ſo war auch die hinkende Bärenjungfer unſeres Zwingers zuerſt bei der Hand, um den ſ<hmud>en Geſellen zu begu>en und zu beſhnüffeln. Reineke beſtand dieſe Muſterung mit bewundernswerter Ruhe. Als jedoch die Bärin ſeinem Antliße in etwas zu bedenklicher Weiſe nahekam, fuhr er ihr mit den Zähnen über das Geſicht und belehrte ſie auf nahdrüd>lihe Weiſe, daß er niht Liebe um jeden Preis ſuche. Sie wiſchte ſi etwas verdußt die Shnauze und blieb in ahtungsvoller Entfernung ſtehen. Mittlerweile unterſuhte das Füchslein, ohne ſih von der Stelle zu bewegen, aufmerkſam die Örtlichkeit entde>te an der vorſpringenden Ecke des Turmes einen vortrefflich gelegenen Punft und gewann dieſen mit zierlihen Sprüngen.