Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 1/2

Landbär: Verbreitung. Bewegung. Sinnesſchüärfe. 215

Jn der Weidmannsſprache unterſcheidet man Haupt- oder Groß-, Mittel- und Fungs- oder Kleinbären; die Füße heißen Branten, die Klauen und Zähne Waffen und Fänge, das Fell Dede oder Haut, das Fett Feiſt, die Augen Seher oder Lichter, die Ohren Gehör, der Shwanz Pürzel. Ferner ſagt man: der Bär geht von oder zu Holze, verläßt oder ſucht ſein Lager oder Loch, erhebt ſich, wenn er ſein Lager verläßt oder ſih aufrihtet, erniedrigt ſih, wenn er aus ſeiner aufre<hten Stellung niederfällt oder ſi zur Ruhe begibt, ſ<lägt oder reißt ſeinen Raub, ſ<hlägt ſich ein, indem er ſih im Winterlager niederlegt, bäret, ſett oder bringt Junge, wird erlegt, aufgeſ<ärft, ſeine Haut abgeſchärft 2c.

Vereinigt man alle genannten Formen zu einer einzigen Art, ſo hat man deren Verbreitungsgebiet von Spanien bis Kamtſchatka und von Lappland und Sibirien bis zum Atlas, Libanon und dem weſtlihen Himalaja auszudehnen. Fn Europa bewohnt der Landbär noh gegenwärtig alle Hochgebirge: die Pyrenäen, Alpen, Karpathen, transſylvaniſchen Alpen, den Balkan, die ſkandinaviſchen Alpen, den Kaukaſus und Ural, nebſt den Ausläufern und einem Teile der Umgebung dieſer Gebirge, ebenſo ganz Rußland, ganz Nord- und Mittelaſien, mit Ausnahme der kahlen Steppen, Syrien, Paläſtina, Perſien, Afghaniſtan, den Himalaja oſtwärts bis Nepal und in Afrika endlih den Atlas. Er iſt häufig in Rußland, Schweden und Norwegen, Siebenbürgen und den Donautiefländern, der Türkei und Griechenland, niht ſelten in Krain und Kroatien, in dem gebirgigen Spanien und Ftalien, ſhon ſehr ſelten geworden in der Shweiz und Tirol, faſt gänzlih ausgerottet in Frankreich wie in den öſterreichiſh-deutſ<hen Ländern und gänzlich vertilgt in Deutſchland, Belgien, Holland, Dänemark und Großbritannien. Einzelne Überläufer erſcheinen dann und wann im bayriſchen Hochgebirge, in Kärnten, Steiermark, Mähren und vielleiht no< im Böhmerwalde. Bedingung für ſeinen Aufenthalt ſind große, zuſammenhängende, ſ{hwer zugängliche oder doh wenig beſuchte, an Beeren und ſonſtigen Früchten reihe Waldungen. Höhlen unter Baumwurzeln oder in Baumſtämmen und im Felſengeklüſte, dunkle, undur<hdringliche Dieichte und Brüche mit tro>enen Fnſeln bieten hier ihm Obdah und Ruhe vor feinem Erzfeinde, dem Menſchen.

Der Bär, das plumpeſte und ſchwerſte Raubtier Europas, iſt wie die meiſten ſeiner engeren Verwandten ein tölpelhafter und ziemlich geiſtloſer Geſell. Doch ſehen ſeine Bewegungen ungeſchi>ter aus, als ſie wirkli< ſind. Er iſt ein Paßgänger, bewegt alſo beim Gehen wie beim Trollen die Beine der nämlichen Körperſeite gleichzeitig, wodur< ſeine Gangweiſe ungeſhla<t ſhaukelnd und bummelhaft erſcheint, bei beſ<hleunigter Gangart fällt er in einen ret fördernden Galopp, holt mit Leichtigkeit einen Menſchen ein und entwicelt auch ſonſt jedenfalls eine Raſchheit und Gewandtheit, die man ihm faum zutraut. Bergauf geht ſein Lauf verhältnismäßig no< ſchneller als auf der Ebene, weil ihm ſeine langen Hinterbeine hier trefflih zu ſtatten kommen; bergunter dagegen kann ex nux langſam laufen, weil er ſich ſonſt leiht überſchlagen würde. Bloß während der Zeit, in welcher ſeine Sohlen ſi häuten, geht er niht gut. Außerdem verſteht er vortrefflih zu ſhwimmen und geſchi>t zu klettern, pflegt jedoh im Alter, wenn er groß und ſ{<wer geworden, nicht mehr Bäume zu beſteigen, wenigſtens nicht aſtreine, glatte Stämme. Die gewaltige Kraft und die ſtarken, harten Nägel erleichtern dem Bären das Klettern ungemein; er vermag | elbſt an ſehr ſteilen Felſenwänden emporzuſteigen. Unter ſeinen Sinnen ſcheinen Gehör und Geruch am vorzüglichſten zu ſein; das Geſicht iſt dagegen ziemlih ſ{hle<ht, obſchon die Augen niht blöde genannt werden dürfen; der Geſhma> endlih ſcheint reht gut ausgebildet zu ſein. Kremeng hat viele Beobachtungen über die Schärfe der Sinne angeſtellt. Nach ihm vernimmt der Bär im Walde bei ruhigem Wetter das Knacken der Gewehrhähne auf etwa 70 Sgritt, das Zerbrechen eines fingerdi>en tro>enen Reifes auf 135 und ein ziemlich