Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 1/2

222 Vierte Ordnung: Raubtiere; ſechſte Familie: Bären.

Bären dieſe wieder hervor, um ſi an ihnen zu ſättigen; es erſcheint deshalb auh glaubli<, daß Meiſter Braun zuweilen zum Leichenräuber wird. So erlegte man in dem ſibiriſchen Dorfe Makaro einen Bären auf dem Friedhofe, als er gerade beſchäftigt war, einen kurz vorher beerdigten Leichnam auszugraben. Jmmerhin iſt no< niht ſicher nachgewieſen, daß Bären bereits in Fäulnis übergegangenes Fleiſh annehmen.

Vor dem Eintritte des Winters bereitet ſich der Bär eine Lagerſtätte, entweder zwiſchen Felſen oder in Höhlen, welche er vorfindet, ſi ſelbſt gräbt, beziehentlich erweitert, oder in einem hohlen Baume, oft auch in einem Dickicht oder auf einer tro>enen Jnfel, im Bruche und Sumpfe. Wilhelm Prinz Radziwill berichtet als Augenzeuge den ſehr merkwürdigen Fall daß ſih ein fünfjähriger männlicher Bär im Gouvernement Minsk 1887 — 88 ſogar auf einem Baume eingeſchlagen hatte. Der Vär ruhte auf den von allen Seiten hereingezogenen Zweigen in der Gabelung des dreigeteilten Stammes einer ſtattlihen Tanne etwa 11 m über dem Boden. Es wax auh niht das erſte Mal daß er ſi ein ſo ſeltſames Lager erwählt hatte; hon zu Anfang des nämlichen Winters hatte er ſih auf einem anderen Baume, obwohl bedeutend niedriger, eingeſchlagen, war aber dur< Neugierige beläſtigt und \<hließli<h verſheu<ht worden. Das Lager der Bärin wird von ihr ſorgfältig mit Moos, Laub, Gras und Zweigen ausgepolſtert und iſt in der That ein ſehr bequemes, hübſches Bett. Jn den galiziſchen Karpathen, woſelbſt man dieſe Winterwohnung Gaura nennt, zieht die Bärin, laut Knaur, Höhlen in ſehr ſtarken Bäumen anderen Lagerpläßen vor, falls das Thor, d. h. die Eingangsöffnung, niht zu groß iſt. Noch vor dem erſten Schneefalle ordnet ſie ihr Winterlager, indem ſie die Gaura von Erdteilen, faulem Holze und anderen unſauberen Stoffen reinigt. Mit Eintritt ſtrengerer Kälte bezieht der Bär ſeinen Schlupfwinkel und hält hier während der kalten Fahreszeit Winterſchlaf. Die Zeit des „Einſhlagens“ oder Beziehens der Wohnung richtet ſih weſentli<h na< dem Klima der betreffenden Gegend und nah der Witterung. Während die Bärin ſih meiſt {hon Anfang November zurüczieht, \<weift der Bär, wie ih in Kroatien dur<h Abſpüren einer Fährte ſelbſt erfuhr, no< Mitte Dezember umher, gleichviel ob Schnee liegt und ſtrenge Kälte herrſcht oder niht. Nach Verſicherung ruſſiſher Bärenjäger ſoll er vor dem Schlafengehen die Umgebung ſeines Lagers genau unterſuchen und dasſelbe mit einem anderen vertauſchen, wenn er nah verſchiedenen Seiten hin auf menſchlihe Spuren ſtößt. Tritt mitten im Winter Tauwetter ein, ſo verläßt er ſogar in Rußland und Sibirien zuweilen ſein Lager, um zu trinken oder auh Nahrung zu nehmen. „Kurz nach Beginn ſeiner Winterruhe“, ſhreibt mir Loewis, „ſcheint er zum Verlaſſen des Lagers weit mehr geneigt zu ſein als im Hohwinter. Daß er in Livland während 3—4 Monaten gänzlich unter dem Schnee begraben liegt, durhaus keine Nahrung zu ſih nimmt, um dieſe Zeit auh nur mit gänzlih leeren Eingeweiden gefunden wird, iſt ganz ſicher.“

Bei gelinder Witterung dagegen währt ſeine Winterruhe vielleiht nur wenige Wochen, und unter milderen Himmelsſtrichen denkt er wahrſcheinlih gar nicht an einen derartigen Nückzug. Hierauf deuten Beobachtungen, welche an gefangenen Bären angeſtellt worden ſind. Sie halten keinen Winterſchlaf, benehmen ſich im Winter überhaupt kaum anders als im Sommer. Solange ihnen regelmäßig Nahrung gereiht wird, freſſen ſie faſt ebenſoviel wie ſonſt, und in milden Wintern ſchlafen ſie wenig mehr als im Sommer. Die Värin iſt, wenn die Zeit des Gebärens herannaht, vollſtändig wah und munter, ſ{hläft aber im Freien vor und nah der Geburt der Jungen ebenſo tief und feſt wie der Bär und frißt, wie ih durch eigene Beobachtungen mich überzeugt habe, während der eben angegebenen Zeit, ſelbſt in der Gefangenſchaft, niht das Geringſte. Da der Bär im Laufe des Sommers und Herbſtes gewöhnlich ſih gut genährt hat, iſt er, wenn er ſein Winterlager bezieht, regelmäßig ſehr feiſt, und von dieſem Fette zehrt er zum Teile während des Winters. Jm Frühjahre kommt