Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 1/2

226 Vierte Ordnung: Raubtiere; ſe<hſte Familie: Bären.

die Brunſt auh no< im Juli, Auguſt und September eintritt. Die Paarung geſchieht nah Hundeart. Gänzlich falſch iſt es, wenn geſagt wird, daß der Bär in ſtrenger Ehe lebe und ſi eine Untreue gegen die einmal gewählte Bärin nicht zu ſhulden kommen laſſe. Linné gab die Tragzeit der Bärin zu 112 Tagen an, weil er den Oktober für die Bärzeit annahm. Jn Wirklichkeit beträgt die Trächtigkeitsdauer mindeſtens 6 Monate, wahrſcheinli< noh etwas mehr. Knaur fand in den Karpathen am 11. März in einem nah dem Tode der Bäxin von ihm unterſuchten Lager zwei Junge von Kaninchengröße und ſprach ihnen ein Alter von 5—6 Wochen zu. Die Bärin ſeßzt gewöhnlih 2—3, man<hmal 1 oder 4, ſehr ſelten aber 5 Junge.

Eine von mir gepflegte Bärin brachte in der vorleßzten Woche des Januars zwei Junge. Wir bereiteten ihr im Fnneren des Zwingers ein weiches Strohlager, und ſie nahm dies dankbar entgegen. Das eine der Jungen ſtarb kurz nah der Geburt, das andere war ein kräftiges und munteres Éleines Tier von 25 cm Länge. Ein ſilbergrauer, ſehr kurzer Pelz bekleidete es; die Augen waren dicht geſchloſſen; das Gebaren deutete auf große Hilfloſigkeit; die Stimme beſtand in einem kläglichen, jedo< kräftigen Gewinſel. Die Bärin, welche von ihrem Eheherrn getrennt wurde, legte ſehr wenig Zärtlichkeit gegen das Junge an den Tag, zeigte dagegen eine um ſo größere Sehnſucht nah ihrem Bären. Sobald dieſer der Thüre ihrer Zelle ſi< nahte, verließ ſie ihr Junges augenbli>li< und ſhnüffelte und ſ<hnaufte den Herrn Gemahl an. Fhren Sproſſen behandelte ſie mit beiſpielloſem Unge\chi> ja mit förmlicher Roheit. Sie ſchleppte ihn in der Schnauze wie ein Stü> Fleiſ< umher, ließ ihn achtlos ohne weiteres zu Boden fallen, trat ihn niht ſelten und mißhandelte ihn ſo, daß er ſhon am dritten Tage ſtarb. Dies geſchah einzig und allein aus überwiegender Hinneigung zu dem Bären; denn ſie wurde, als beide Tiere wieder zuſammengebracht werden konnten, augenbli>li<h ruhig, während ſie früher im höchſten Grade unruhig geweſen war.

Zwei Jahre ſpäter brachte dieſelbe Bärin wieder Junge und zwar bereits am 5. Januar. Schon etwa 3 Wochen vor der Geburt zog ſie ſi in ihre Zelle zurü>, ordnete das Stroh zu einem Lager, war träge und unluſtig und fraß kaum noh. Einige Tage ſpäter nahm ſie keine Nahrung mehr zu ſih und ließ ſelbſt das ihr gereihte Waſſer unberührt. Die neugeborenen Jungen ſ{hügte ſie ſorgſam. Am 17. Februar verließ ſie, ſoviel beobachtet werden konnte, zum erſten Male ihr Lager, um zu trinken; gefreſſen hatte ſie bis dahin niht, nahm von nun an aber wieder etwas Nahrung an. Ein Funges war geſtorben; das überlebende hatte um dieſe Zeit die Größe eines halbwüchſigen Kaninchens erreiht. Fm Alter von etwa 5 Wochen öffneten ſih ſeine Augen; Ende Februar begann es ſi zu bewegen, war aber no< ungemein täppiſh und ungeſchi>t, Ende März ſpazierte es in der Zelle auf und ab, im April verſuchte es weitere Ausflüge zu machen. Die Alte hielt den Sprößling in ſtrenger Zucht, achtete auf jeden ſeiner Schritte und holte ihn mit der Brante gewaltſam herbei, wenn ex ſih entfernen wollte; für ſeine Reinigung ſorgte ſie dadurch, daß ſie ihn zuweilen in das Waſſerbe>en warf und, nachdem er ſih gebadet, wieder mit der Brante herauszog. Der erſte gegen den Willen der Mutter gelungene Ausflug koſtete dem niedlichen Geſchöpfe das Leben: es verirrte ſih beim Zurü>kehren in den Zwinger der Cisbären und wurde von dieſen ſofort zerriſſen. Die Alte bekundete wenig Kummer über den Verluſt des Jungen, benahm ſi wenigſtens gegen den Bären, zu welchem ſie gebracht worden war, ebenſo zärtlih und hingebend wie je.

Soweit es ſih um das Freileben unſeres Tieres handelt, geben die Beobahtungen von Kremenß über alle dieſe Dinge wünſchenswerte Klarheit; ſie werden auch niht bloß für die in den Rokitnoſümpfen hauſenden Bären gelten, wenngleich bei der ſehr ausgedehnten Verbreitung unſerer Tierart mancherlei Abweihungen vorkommen mögen. (Vgl. S. 229.)