Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 1/2

230 Vierte Ordnung: Raubtiere; ſe<hſte Familie: Bären.

ſind reizbar wie Kinder; ihre Liebe iſt augenbli>li< gewonnen, ebenſo raſh aber auch verſcherzt. Grob und ungeſchi>t, vergeßlih, unachtſam, täppiſ<h, albern, wie ihre Eltern, ſind auch ſie; nur treten bei ihnen alle dieſe Eigenſchaſten ſchärfer hervor. Wenn ſie allein gelaſſen werden, können ſie ſi< ſtundenlang damit beſchäftigen, unter ſonderbarem Gebrumme und Geſchmagte ihre Taten zu bele>en. Jedes ungewohnte Ereignis, jedes fremde Tier erſhre>t ſie; entſeßt rihten ſie ſih auf und ſ<hlagen ihre Kinnladen klappend aufeinander. Schon im zweiten Halbjahre ihres Lebens nehmen ſie das Weſen der Alten an, werden roh und biſſig, mißhandeln, ſo feig ſie ſind, ſhwächhere Haustiere, beißen oder kragen ſelbſt den Gebieter und können nur dur< Prügel in Ordnung gehalten werden. Mit zunehmendem Alter werden ſie ungeſchi>ter, roher, freßgieriger, raubluſtiger und gefährliher. Man kann auth ſie lehren, ihnen etwas beibringen, ſie zu einfahen Kunſtſtü>ken abrichten, darf ihnen jedo< niemals trauen; denn ſie ſind, wie alle geiſtloſen Geſchöpfe, unberechenbar und ihre gewaltige Stärke, Bosheit und Tücke ſtets zu fürhten. So eignen ſie ſich wohl für den Zwinger im Tiergarten oder, ſolange ſie no< niht vollſtändig erwachſen ſind, zum Schautiere eines umherziehenden Bärenführers, niemals aber zu einem innigeren Verkehre mit dem Menſchen. Dieſe Erfahrung haben alle gemacht, welche den Verſuch wagten, das ungebärdige und unverläßliche Tier zu erziehen, und mehr als ein Lehrmeiſter hat dabei Geſundheit und ‘Leben verloren.

Dies beſtätigt auh Krement. Nach ihm iſt „das nie zu tilgende Mißtrauen der Grund, weshalb des Bären Anhänglichkeit und Freundſchaft für den Menſchen nur leerer Wahn iſt, daß er niemals Liebkoſungen dankend anerkennt“. Unſer Gewährsmann erzählt aber mehrere anſprechende Bärengeſchichten, die wir hier wiedergeben. „Aufgezogene junge Bären, die ſelbſtändig freſſen und ihren Fraß ſelbſt aufſuhen können, ſind ungemein {wer auszuſeßen! Sie arten förmlih zu Haustieren aus. Meilenweit tief in den Wald gebracht und dort verlaſſen, finden ſie ſicherlih den Weg zurü> und eilen auf der Fährte deſſen, der ſie ausgeſeßt, eiligſt der Heimat zu oder irren planlos im Walde umher, ſchließen ſich jeder Perſon, die ihnen aufſtößt, an und enden nicht ſelten ihr Leben dur< Hunger. Drei in einem Sace ausgeſeßte, bereits 6 Monate alte Bären fanden auf 3 Meilen Entfernung dur< Sumpf und Waſſer den Rü>kweg und äußerten ihre Freude frühmorgens beim Einzuge dadurch, daß ſie die Fenſter zertrümmerten und durch dieſe hindurh mit brummendem Wohlbehagen dem altgewohnten Lager zuſteuerten. Ein gleichfalls im Sake ausgeſeßter Bär, den ih von einer im Waſſer ſtehenden Erle aus beobachtete, trollte, nahdem er den Sa> durchbrochen und eine kurze Weile ruhig dageſeſſen und die Umgebung ſcharf gemuſtert hatte, plößlih, mit der Naſe auf der Erde, brummend hin und her, fiel {hließlih auf meine Fährte, eilte flüchtig darauf hin und ins Waſſer, verlor hier die Fährte, erhob ſih auf den Hinterbranten und fing jämmerlih an zu wehklagen, ging al8dann wiederum zurü>, \<hlug einen großen Bogen, kam unter Wind, hob plößlich die Naſe und eilte nun troß des Waſſers der Erle zu, an der er hinaufzuklettern verſuchte, ſo daß mir ſchließlih nichts weiter übrigblieb als ihn wieder mit zurü>zunehmen. Ein ordentlicher Profeſſor der BärenUniverſität zu Smorgon, zwiſchen Wilna und Minsk, beteuerte mir als Thatſache, daß einſt einer ſeiner ſhwarzen Zuhörer, den er einem Freunde geſchenkt hatte, aus 8 Stunden Entfernung zu ihm zurückgekehrt ſei, um ſeine Studien in der höheren Tanzkunſt zu vollenden.“

Wir wiſſen niht beſtimmt, wie lange das Wachstum des Bären währt, dürfen aber annehmen, daß mindeſtens 6 Fahre vergehen, bevor er zum Hauptbären wird. Das Alter, welches er überhaupt erreichen kann, ſcheint ziemli<h bedeutend zu ſein. Man hat Bären 50 Jahre in der Gefangenſchaft gehalten und beobachtet, daß die Bärin noch in ihrem 31. Fahre Junge geworfen hat.