Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 1/2

Baribal: Leben3weiſe. Fortpflanzung. Jagd. Gefangenleben. 241

Verehrung gleichkommen. Alexander Henry, welcher iù den eigentlichen Pelzgegenden reiſte, erzählt, wie ſih feine Wirte einem ſoeben von ihm erlegten Bären gegenüber verhielten. „Sofort nah ſeinem Tode näherten ſi< ihm lle Jndianer und namentlich die Alte Mutter, wie wir ſie nannten. Sie nahm den Kopf des Tieres in ihre Hände, ſtreicelte und küßte ihn wiederholt und bat den Bären tauſendmal um Verzeihung, daß man ihm das Leben genommen habe, verſicherte auh, daß nicht die Fndianer diés verübt hätten, ſondern daß es gewißlih ein Engländer geweſen wäre, welcher den Frevel begangen. Dieſe Geſchichte währte niht eben lange; denn es begann bald das Abhäuten und Zerteilen des BVären. Alle beluden ſi<h mit der Haut, dem Fleiſche und Fette und traten darauf den Heimweg an. Sobald man zu Hauſe angekommen war, wurde das Bärenhaupt mit ſilbèrnen Armbändern und allem Flitterwerke, welches die Familie beſaß, geſ<hmüd>t: Dann legte man es auf ein Gerüſt und vor die Naſe eine Menge von Tabak. Am nächſten Morgen traf man Vorbereitungen zu einem Feſte. Die Hütte wurde gereinigt und gefegt, das Haupt des Bären erhoben und ein neues Tuch, welches no< niht gebraut worden war, darüber gebreitet. Nachdem man die Pfeifen zurecht gemacht hatte, blies der Jndianer Tabaksrauh in die Naſenlöcher des Bären. Ex bat mich, dasſelbe zu thun, weil ih, der ih das Tier getötet habe, dadur< ſicher deſſen Zorn beſänftigen werde. Jh verſuchte, meinen wohlwollenden und freundlihen Wirt zu überzeugen, daß der Bär kein Leben mehr habe, meine Worte fanden aber keinen Glauben. Zulegzt hielt mein Wirt eine Rede, in welcher ex den Bären zu verherrlichen ſuchte, und nach dieſer endlih begann man von dem Värenſfleiſche zu ſ<hmauſen.“

Alle von mir beobachteten Baribals unterſchieden ſi< dur< ihre Sanftmut und Gutartigkeit weſentlih von ihren Verwandten. Sie machen ihren Wärtern gegenüber niemals von ihrer Kraft Gebrauch, erkennen vielmehr die Oberherrlihkeit des Menſchen vollkommen an und laſſen ſi<h mit größter Leichtigkeit behandeln. Jedenfalls fürchten ſie den Wärter weit mehr als dieſer ſie. Aber ſie fürchten ſih au< vor jedem anderen Tiere. Ein kleiner Elefant, welcher an ihren Käfigen vorbeigeführt wurde, verſeßte von mir gepflegte Baribals ſo ſehr in Schr>en, daß ſie eiligſt an ihrem Kletterbaume emporklommen, als ob ſie dort Schuß ſuchen wollten. Zu Kämpfen mit anderen Bären, welche man zu ihnen bringt, zeigen ſie keine Luſt; ſelbſt ein kleiner, mutiger ihrer eigenen Art kann ſi die Herrſchaft im Naume erwerben. Als ih einmal junge Baribals zu zwei Alten ſetzen ließ, entſtand ein wahrer Aufruhr im Zwinger. Die Tiere fürchteten ſich gegenſeitig. Dem erwachſenen Weibchen wurde es beim Anbli>e der Kleinen äußerſt bedenklich; denn es eilte jo ſ<nell wie möglih auf die höchſte Spie des Baumes. Aber auch die Jungen bewieſen dur< Schnaufen und ihren Rüczug in die äußerſte Eke, daß ſie voller Entſeßen waren. Nur der alte Bär blieb ziemlich gelaſſen, obwohl er fortwährend ängſtlich zur Seite ſcielte, als ob er fürchte, daß die Kleinen ihn rülings überfallen könnten. Aber auch deren Sinn war nur auf Sicherſtellung gerichtet. Der Hunger trieb die alte Bärin vom Baume herab, und augenbli>li< kletterten beide Jungen an ihm empor. Volle 10 Tage lang bannte ſie die Furt an den einmal gewählten Plat; die le>erſte Speiſe, der ärgſte Durſt waren niht vermögend, ſie von oben herabzubringen. Sie kletterten niht einmal dann hernieder, als wir die alten Bären abgeſperrt und ſomit den ganzen Zwinger ihnen zur Verfügung geſtellt hatten. Jn der fklägli<hſten Stellung lagen oder hingen ſie auf den Zweigen Tag und Nacht, und zuleßzt wurden ſie ſo müde und matt, daß wir jeden Augenbli> fürchten mußten, ſie auf das harte Steinpflaſter herabſtürzen zu ſehen. Dem war aber nicht ſo, der Hunger überwand ſchließlih alle Bedenken. Am zehnten Tage ſtiegen ſie aus freien

Stüden herab und lebten fortan in Frieden und Freundſchaft mit den beiden älteren. Der legte Baribal, welchen ih in denſelben Käfig bringen ließ, benahm ſi< genau ebenſo, obgleich

Brehm, Tierleben. 3. Auflage. 11.