Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 1/2

24 Vierte Ordnung: Raubtiere; fünfte Familie: Hunde.

denn beſonders ungünſtige Umſtände zuſammentreffen; wehrloſe Weiber und Kinder mögen mehr gefährdet ſein.

Bei ſeinen Jagden verfährt der Wolf mit der Liſt und Schlauheit des Fuchſes, von deſſen Eigenſchaften er gelegentli<h auh no< eine andere, die Frechheit, an den Tag legt. Er nähert ſich einer auserſehenen Beute mit äußerſter Vorſicht, unter ſorgfältiger Beobachtung aller Jagdregeln, ſchleicht lautlos bis in möglihſte Nähe an das Opfer heran, ſpringt ihm mit einem geſchi>ten Sage an die Kehle und reißt es nieder. An Wechſeln lauert er ſtundenlang auf das Wild, gleichviel ob es ein Hirſh oder Reh oder in Dauriens Steppen ein in den Bau geſchlüpftes Murmeltier iſt; einer Fährte folgt er mit untrügliher Sicherheit. Bei gemeinſchaftlihen Jagden handelt er im Einverſtändnis mit der übrigen Meute, indem ein Teil die Beute verfolgt, der andere ihr den Weg abzuſchneiden und zu verlegen ſucht. „Begegnen Wölfe“, ſchreibt mir Loewis, „in der Ebene einem Fuhſe, ſo teilen ſie ſich ſofort und ſuchen ihn zu umzingeln, während einige die Hete aufnehmen. Meiſter Reineke iſt dann gewöhnlich verloren, wird ſ<hnell gefaßt, noh ſ{hneller zerriſſen und verſchlungen.“ Angeſichts einer Herde bemühen ſie ſi, wie ſchon die Alten wußten, die Hunde wegzulo>en, und fallen dann über die Schafe her: „Wenn der Wölff viel beyſammen und auch viel Hunde oder Hirten bey der Heerde ſind, ſo greift ein Theil die Hunde und der andere Theil die Heerde Schaaſfe an“, ſagt ſchon der alte Gesner. Wird er ſelbſt gejagt, ſo erhebt ſi der Wolf beim erſten Lautwerden der Hunde, um ſi fortzuſtehlen.

Aus vorſtehenden Angaben geht zur Genüge hervor, wie \{hädli< der Wolf wird. Bei den Nomadenvölkern oder allen denen, welche Viehzucht treiben, iſ er entſchieden der ſchlimmſte aller Feinde. Es kommt vor, daß er die Viehzucht wirklih unmöglih ma<ht. So ſoll ein Verſuch, das ſo nüßlihe Ren auch auf den ſüdlichen Gebirgen Norwegens zu züchten oder in Herden zu halten, dur< die Wölfe vereitelt worden ſein. Ein einziger Wolf, welher ſi, laut Kobell,/ bevor er getötet wurde, 9 Fahre in der Gegend von Schlierſee und Tegernſee umhertrieb, hat nah amtlichen Erhebungen während dieſer Zeit gegen 1000 Schafe und viel Wildbret geriſſen, ſo daß der von ihm verurſachte Schade auf 8—10/000 Gulden geſchäßt wurde. Jm Fagdwalde bei Temesvar, welcher kaum 1 km von der Feſtung entfernt liegt, riſſen die Wölfe in einem Winter über 70 Rehe, in einem walachiſhen Grenzdorfe binnen 2 Monaten 31 Rinder und 3 Pferde, in der kroatiſchen Ortſchaft Basma in einer Nacht 35 Schafe. Jm Dorfe Suhaj in Kroatien trieb, laut mir gewordenem Berichte, am 8. Dezember 1871 der Hirt eine Herde Schafe auf die Weide und wurde hier-von etwa 60 Wölfen überfallen, welhe ihm 24 Schafe zerriſſen und auffraßen; die übrigen zerſtoben in alle Winde, und nur ein Lamm kehrte zurü>. Ähnliches geſchieht allerorten, wo dieſe Naubtiere hauſen. Fn Lappland iſt das Wort Friede gleihbedeutend mit Ruhe vor den Wölfen. Man kennt bloß einen Krieg, und dieſer gilt gedahten Raubtieren, welche das lebendige Beſißtum der armen Nomaden des Nordens oft in der empfindlichſten Weiſe ſ{hädigen. Auch in Spanien verurſachen die Wölfe bedeutende Verluſte. Fn Rußland fallen ihnen jährlih etwa 180/000 Stü>k Groß- und über dreimal ſo viel Stü Kleinvieh zur Beute; Laſarewski bemißt den dur ſie angerihteten Schaden an Haustieren auf 15 Millionen, an nußbarem Wilde auf 50 Millionen Rubel. Zu alledem kommt nun noh, daß ſie auh von der Tollwut befallen und dann Menſchen wie Tieren gleih gefährlich werden; in Rußland ſollen tolle Wölfe die ihnen begegnenden Perſonen vornehmlich in das Geſicht beißen.

Es iſt kein Wunder, wenn die gefährlichen Tiere, zumal da, wo ſie in Menge auftreten, niht bloß unter den Menſchen, ſondern auh unter den Tieren Angſt und Schre>en verurſachen. Die Pferde werden in hohem Grade unruhig, ſobald ſie einen Wolf wittern, die übrigen Haustiere, mit Ausnahme der Hunde, ergreifen die Flucht, wenn ſie nur die