Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 1/2

70 Vierte Ordnung: Naubtiere; fünfte Familie: Hunde.

an den Füßen, am Kopfe, am After und wiſſen dur ihre vereinigte Kraft das Tier, ungeachtet ſeiner ungeheueren Größe, umzuwälzen, ſo daß es auf den Rücken zu liegen fommt. Dann fangen ſie an allen Enden an zu nagen, reißen die Bauchſchilder auf und halten an den Eingeweiden, dem Fleiſhe und den Eiern ihr blutiges Mahl. Viele Schildkröten entfliehen ihrer Wut und erreichen, oft die zerrenden Hunde hinter ſi herſhleppend, glü>li<h das Meer. Auch eine exlangte Beute verzehren die Hunde niht immer in Ruhe. Jn manchen Nächten geſchieht es, daß der Herr der Wildnis der Königstiger, aus dem Walde hervorbricht, einen Augenbli> ſtille hält, ſtußt, mit funkelnden Augen den Strand überſpäht, dann leiſe heranſchleiht und endlih mit einem Sate, unter dumpfſhnaufendem Geknurre unter die Hunde ſpringt, welhe nun nach allen Seiten auseinander ſtieben und in wilder Flu<ht dem Walde zueilen. Ein abgebrochener, mehr pfeifender als knurrender Laut begleitet ihren Abzug. So führen ſie in Wahrheit einen Kampf mit Bewohnern des Weltmeeres an einem Orte, außerordentlich wüſt und ſhauervoll welcher niemals von Javanen beſucht wird, dem Wanderer aber, welcher die Wildnis durchirrt, ſhon aus der Ferne erkenntlih iſt an der Menge von Raubvögeln, welche hoh in der Luft darüber kreiſen.“

Aber auch in bevölkerten Gegenden, bis hoh ins Gebirge hinauf, betreibt der Adjag ſeine wilde Jagd. Wie Funghuhn im Jahre 1844 erfuhr, dur<hzieht er zuweilen in Meuten von einem Dußend und darüber die halbbebauten Gaue eines Höhengürtels von ungefähr 1000 m über dem Meere, überfällt na<ts Ziegen und ſelbſt Pferde, welhe man auf der Weide gelaſſen oder in der Nähe der Dörfer im Freien an einen Pfahl gebunden hat, greift ſie gemeinſchaftli<h und gleichzeitig an, beißt ſih am After und den Geſchlechtsteilen feſt, reißt ihnen die weichen Teile des Bauches auf und weiß ſie ſo zu bewältigen. Nach Verſicherung der Javanen vergehen nach ſolchem Überfalle Fahre, in denen keine Spur von den wüſten Gäſten bemerït wird, ein Beweis, daß ſie wie alle Verwandten weit im Lande umherſhweifen. Aus den Beobachtungen von Forbes wäre no< zu entnehmen, daß unſere Tiere, ungleih ihren indiſchen Verwandten, vorwiegend auch laut zu jagen pflegen: „Das Gebell“, ſ{hreibt dieſer Gewährsmann auf Java, „von Adjags erreichte oft mein Ohr, aber alle meine Bemühungen, ſie beim Jagen zu beobachten, waren vergeblih. Sie ſind ſo [heu und vorſichtig, daß es ſchwer iſt, einen zum Schuſſe zu bekommen, und ich erhielt nur ein einziges Stück in ſ{le<tem Zuſtande.“

Über Verſuche, dieſen Wildhund zu zähmen, ſind keinerlei Mitteilungen zu finden. Jh ſah einen Adjag im Tiergarten von Amſterdam, wohin er von Tſcheribon (Fava) gebracht worden war. Jn mancher Hinſicht ähnelt er dem zahmen Hunde. Er läuft, ſißt, liegt zuſammengekauert wie dieſer,

„Er knurrt und zweifelt, legt ſih auf den Bauch,

Er wedelt — alles Hundebrauch““. Aber der erſte Bli>k auf ihn genügt, um in ihm ein von unſerem Hunde durchaus verſchiedenes Tier zu erkennen. Allerdings läßt ſih niht ſo leiht beſchreiben, worin der Unterſchied liegt; allein der vergleichende Blik eines Naturkundigen, welcher lebende Tiere zu beobachten gewohnt iſt, will meiner Anſicht nah niht weniger ſagen, als etwaige Maßunterſchiede oder ein kleines Hö>erhen mehr oder weniger auf einem beliebigen Zahne. Dem Adjag ſchaut der Wildhund ſo klar aus dem Geſichte heraus, daß man gar nicht zweifeln kann, wes Geiſtes Kind man vor ſi< hat. Kein einziger Haushund hat einen ſolchen Geſichtsausdru> wie irgend ein wilder; ſelbſt der Hund der Esfimos iſt, wenn man ihm ins Geſicht ſchaut, vom Wolfe zu unterſcheiden: der Adjag aber ſieht ſo wild aus wie nur irgend einer ſeiner freilebenden Verwandten.

Der Gefangene in Amſterdam wurde nur mit Fleiſch gefüttert; andere Stoffe rührte er niht an. Gegen ſeine Wärter zeigte er niht die geringſte Anhänglichkeit. Er lebte in