Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 1/3

Nashorn: Zutraulichkeit eines Jungen. Gefangenleben. 119

und gewinnen nah und nach eine entſchiedene Zuneigung zu jedem Wärter, welcher verſtändig mit ihnen umgeht. Nur ein Fall iſt bekannt, daß ein Nashorn zwei Leute, welche es wahrſcheinlich gereizt haben mochten, angriff und tötete. Das indiſche Nashorn im Tiergarten von Antwerpen war ſo gutmütig, daß es Kretſchmer, den Zeihner vieler Abbil: dungen dieſes Werkes, geſtattete, zu ihm in den Behälter zu gehen, als es ſih darum handelte, es von allen Seiten bildlih darſtellen zu können. Ein Paar indiſcher Nashörner im Berlinex Tiergarten zeigte ſi<h ebenſo lenkſam und leutſelig, ein ebendaſelbſt lebendes Doppelnashorn dagegen unfreundlih und eigenwillig. Während jene bei gutem Wetter tägli in dem äußeren Gehege ihres Stalles ſi< ergingen und ſtundenlang behaglich in dem geräumigen Badebe>en lagen, war dieſes weder durh Güte no< dur< Gewalt dazu zu bringen, den inneren Raum zu verlaſſen, und mußte mittels einer Spriße gebadet werden. Keiner ſeiner Wärter wagte es, in ſeinen Stall zu treten, keiner es zu berühren, weil es jedes derartiges Entgegenkommen ſ{nöde zurü>wies und ſelbſt ſeinen wohlbekannten Pjfleger gelegentlich bedrohte. Mit Strenge iſt bei ſo gearteten Nashörnern nichts auszurichten; denn ihre Störrigkeit und Eigenwilligkeit überſteigt alle Begriffe. Sanfte Worte, freundliches Zureden, Anbieten und Darreichen von Le>erbiſſen, kurz, Mittel der Güte, fruchten unter ſolchen Umſtänden weit mehr als die Peitſche, welche ſonſt auh bei Nashörnern als nüßlihes und notwendiges Werkzeug der Erziehung ſih erweiſt.

Das Leben der gefangenen Nashörner fließt einförmig dahin. Wie in der Freiheit find ſie eigentlich nur in den Früh- und Abendſtunden ſowie während eines Teiles der Nacht vollfommen munter und ſo rege, als ihnen der Raum geſtattet. Die Mittagsſtunden bringen ſie ſ<hlafend zu, nachdem ſie vorher, falls dies ihnen mögli, ein Bad genommen haben. Beim Ruhen legen ſie ſi< bald auf den Bauch und die zuſammengebogenen Beine, bald auf die Seite, wälzen ſih au< gern im Sande und bewegen dabei die ſ{<were Maſſe ihres Leibes leichter, als man annehmen möchte. Beim Schlafen werden der Kopf und der lang ausgeſtre>te Hals auf den Boden gelegt und die Augen geſchloſſen, die Dhren dagegen auch in tiefſter Ruhe no< bewegt; beim Baden verweilen ſie ſtundenlang im Waſſer, tauchen, falls das ihnen angewieſene Been es erlaubt, bis zum Nükenfirſte ein, ſtre>en den Kopf oor und ſchließen die Augen ebenfalls. Wie ſehr ein Begießen oder Beneßen ihrer diden Haut ihnen Bedürfnis iſt, ſieht man an denen, welche niht baden können oder wollen und deshalb täglich mittels einer Sprige eingenäßt werden: ſie drängen ſich, ſolange der Wärter die Sprige handhabt, an das Gitter, drehen und wenden ſi, legen ſi< nieder und auf den Nü>en, wälzen ſih auf dem benezten Boden und geben überhaupt ihr hohes Behagen auf jede Weiſe zu erkennen, laſſen au<h währenddem unfriedliche Gedanken niht aufkommen. Lauwarmes Waſſer iſt ihnen lieber als kaltes; doh baden ſie no< bei 14 Grad Luft: und Waſſerwärme, ohne Unbehaglichkeit zu bekunden. An die Beſchaffenheit des Futters ſtellen ſie, obwohl ſie den Unterſchied zwiſchen beſſerer und minder guter Nahrung zu würdigen wiſſen, geringe Anſprüche, verlangen aber ziemlich viel, etwa 20 kg Heu, 3 kg Hafer oder ſonſtiges Getreide und 15 kg Rüben täglih. Blattreiches Gezweige und Kleeheu zählen unter ihre Le>erbiſſen; Weißbrot und Zucker ſ{hmeicheln ihrem Gaumen in unverkennbarer Weiſe; gewöhnliches Stroh oder Sumpfgräſer werden übrigens auh niht verſchmäht. Bei regelmäßiger Pflege halten ſie ſelbſt in unſerem Klima lange aus: man kennt Beiſpiele, daß ſie 20, 30, in Fndien ſogar 45 Jahre in der Gefangenſchaft lebten, und ſpricht ihnen daher wohl niht mit Unrecht eine Lebensdauer von mindeſtens 80 oder ſelbſt 100 Fahren zu.

So viel mir bekannt, hat man noh niemals die Freude gehabt, gefangene Nashörner zur Fortpflanzung ſchreiten zu ſehen; es liegt jedo<h meiner Anſicht nah kein Grund vor, die Möglichkeit der Vermehrung gefangener Tiere dieſer Familie in Abrede zu ſtellen. Nur wenige Tiergärten vermochten bis jeßt, irgend eine Art der Familie paarweiſe zu erwerben,