Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 1/3

i130 Elfte Dronung: Paarzeher.

Die Wiederkäuer oder Zweihufer (Bidactyla) ſind troß großer Formenmannigfaltigkeit innig verwandte, gehörnte oder ungehörnte, ſchöngeſtaltete oder plump gebaute, anmutige oder häßliche Säuger von außerordentlich {<wankender Größe. Jm allgemeinen kann man folgende Merkmale angeben: der Hals iſt lang und ſehr beweglih, der Kopf an der Stirn anſehnlich verbreitert und oft dur< Hörner und Geweihe, durch große, lebhafte, nicht ſelten ungewöhnlich ſchöne Augen und dur wohlgeſtaltete, auſgerichtete Dhren geziert; die Lippen ſind beweglich, oft na>t und faſt immer ſchnurren- oder borſtenlos; der Schwanz erreiht nur ſelten die Ferſe, ſondern verkürzt ſih in den meiſten Fällen. Ein kurzes, dichtes, eng anliegendes und weiches Haarkleid, welches ſi<h an Hals und Kinn, auf dem Rütten und an der Shwanzſpiße zuweilen mähnen- und quaſtenartig verlängert, de>t den Körper. \iemals iſt es borſtig, oft aber überaus fein, wollig und kraus. Die Färbung iſt äußerſt mannigfaltig. Sehr übereinſtimmend iſ der Bau der Zähne und des Gerippes. 6—S Schneidezähne in der unteren Kinnlade, keiner oder nur ſelten 2 in der oberen, kein oder nur 1 Ectzahn in jedem Kiefer und 3— 7 Ba>enzähne in der oberen, 4—6 Backenzähne in der unteren bilden das Gebiß. Die Schneidezähne ſind meiſt ſchaufelförmig und \{harfſ<neidig; die der oberen Kinnlade haben immer eine e>zahnartige Geſtalt; die E>zähne ſind kegelförmig und ragen nur bei wenigen aus dem Munde hervor; die Bacenzähne beſtehen aus zwei Paaren halbmondförmiger Pfeiler, auf deren Oberfläche ſi<h Schmelzfalten erheben. Der Schädel iſt geſtre>t und nah der Schnauzenſpiße hin verſ<mälert; die Augenhöhlen ſind dur eine vom Stirnbeine und dem Jochbeine gemeinſcaftlih gebildete Knochenbrüde von den Schläfengruben geſchieden; die innere Schädelhöhle iſt von geringem Umfange. Fn der Wirbelſäule fallen die ungewöhnlih langen, ſ{<hmalen, beweglichen Halswirbel auf. Die Anzahl der rippentragenden Wirbel ſ{hwankt zwiſchen 12 und 15, die der rippenloſen zwiſchen 4 und 7, die der Kreuzwirbel zwiſchen 4 und 6, die der Shwanzwivrbel zwiſchen 6 und 20; doch herrſchen faſt überall die mittleren Zahlen vor. Die Rippen ſind ſehr breit; das Schulterblatt iſt wenigſtens doppelt ſo hoh als breit, der Ober- arm kurz und di>, die Handwurzel ſ{hmal und hoh. Mittelhand und Mittelfuß beſtehen aus je einem ſtar verlängerten Knochen, welcher ſi< urſprünglih aus zweien zuſammenſeßte. Bei allen Wiederkäuern ohne Ausnahme ſind nur zwei Zehen, die dritte und vierte, vollkommen entwi>elt. Der Mund zeichnet ſih dur ſtarke Lippenmuskeln und innen dur< zahlreiche Warzen aus; die Speicheldrüſen ſind anſehnlih groß; der Magen beſteht aus vier, mindeſtens drei verſchiedenen Teilen: dem Panſen oder Wanſt, dem Neßmagen oder der Haube, Müge, dem Faltenblättermagen oder Buche, Kalender, Pſalter und Löſer und dem Lab- oder Fett- und Käſemagen. Erſterer ſteht mit der Speiſeröhre, leßterer mit dem Darmſchlauche in Verbindung. Dex Panſen, welcher dur< ein Muskelband in zwei Abteilungen getrennt wird, nimmt das grob zerkaute Futter auf und ſtößt es in kleinen Mengen in den Nebmagen hinüber, deſſen gitterartige Falten es vorverdauen und in Kügelchen formen, welche ſodann dur<h Aufſtoßen wieder in den Mund hinauf gebracht, hier mittels der Mahlzähne verarbeitet, gründlich eingeſpeichelt und ſodann zwiſchen zwei eine Rinne bildenden Falten der Speiſeröhre in den Blättermagen hinabgeſandt und von dieſem endlih dem Labmagen zugeführt werden. Den Kamelen und Zwergmoſchustieren fehlt die dritte Magenabteilung. Der Blinddarm iſt ſehr kurz, eine Gallenblaſe niht bei allen Wiedertäuern vorhanden.

Nicht unwichtig zur Gruppierung und Beſtimmung der Arten ſind die Gehörne und Geweihe, welche viele Wiederkäuer tragen. Man unterſcheidet unter diefen zunächſt zwei größere Gruppen: die ſheidenhörnigen und die geweihtragenden Zweihufer. Unter Scheidenhörnern oder Hörnern ſchle<thin verſteht man diejenigen Gebilde aus Hornmaſſe, welche, auf einer fnochigen Unterlage der ſih fortſeßenden Stirnbeine ruhend, eigentlich