Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 1/3

Allgemeines. 131

nichts anderes ſind als eine hornige Schale, und welche niemals erneuert werden, ſondern bei fortgeſeßtem Wachstum nur an Größe zunehmen; Geweihe dagegen heißen Hörner, welche auf verhältnismäßig kurzen Erhöhungen der Stirnbeine ſißen, durchaus aus feſter Knochenmaſſe beſtehen und mit zunehmendem Alter bis zu einem gewiſſen Grade ſih mehr und mehr veräſteln. Die Geweihe werden alljährlih abgeworfen und nah Verlauf von einigen Monaten dur neue evrſezt. Jn der Regel tragen ſie bloß die männlichen Tiere, während die Gehörne meiſt beiden Geſchlehtern gemeinſam zu ſein pflegen. Die Hufe ändern in ihrer Geſtalt und Größe vielfach ab.

Die Wiederkäuer bewohnen mit Ausnahme Auſtraliens alle Erdteile. Eine beſtimmte Verbreitung der Hauptgruppen läßt ſi niht verkennen. Am weiteſten verbreitet ſind die Rinder und Hirſe, auf den engſten Kreis beſchränkt die Giraffen und Moſchustiere; die Hirſche fehlen im äthiopiſchen, ſind dagegen die einzigen Wiederkäuer im ſüdamerikaniſchen Reiche; die Moſhhustiere ſind nux in Mittelaſien, die Giraffen nur in Äthiopien heimiſch; die Zwergmoſchustiere fehlen in Amerika.

Faſt alle Wiederkäuer ſind ſcheue, flüchtige, friedliche, leiblih ſehr wohl ausgerüſtete, geiſtig beſhränkte Tiere. Viele leben in Herden, alle in Geſellſchaften. Die einen bewohnen das Gebirge, die anderen die Ebenen; feine einzige Art hauſt eigentlih im Waſſer, wohl aber ziehen einige die Sumpfniederungen den tro>enen Ebenen vor. FJhre Nahrung beſteht aus\<ließli< in Pflanzen. Sie lieben Gras, Kräuter, Blätter, junge Triebe und Wurzeln, einzelne auh Körner, andere Flehten. Das Weibchen wirft gewöhnlich nur ein Junges, ſeltener deren zwei und bloß ausnahmsweiſe drei. Die meiſten Wiederkäuer nüßen, gezähmt wie im wilden Zuſtande, mehr als ſie ſhaden, wenn auch einzelne Arten da, wo die Bewirtſchaftung des Bodens eine gewiſſe Höhe erreicht hat, niht mehr geduldet werden können. Von den wild lebenden wie von den zahmen werden Fleiſ<h und Fell, Horn und Haar aufs vielſeitigſte verwendet; die Wiederkäuer liefern, wie bekannt, den größten Teil unſerer Kleidung. Als Haustiere zeigen ſie ſi<h zwar niht klug, aber folgſam, geduldig und genügſam und werden deshalb dem Menſchen geradezu unentbehrlih. Bloß von den vier artenarmen Familien der Zwergmoſchustiere, Moſchustiere, Gabelbö>ke und Giraffen iſt bis jekt no< feine Art als Haustier verwendet worden; von den übrigen hat ſich der Menſch das eine oder das andere Mitglied zu ſeinem Diener und Sklaven gemacht. Die meiſten wild lebenden bilden einen Hauptgegenſtand der Jagd und ſind deshalb wahrhaft töniglicher Ehren teilhaſtig.

Reſte von Wiederkäuern fand man bisher zuerſt in den Ablagerungen der Tertiärzeit und zwar vielfach in gegenwärtig no< lebenden Formen naheſtehenden Arten.

Wir teilen die Wiederkäuer in die ſieben Familien der Giraffen, Kamele, Hohlhörner, Gabelbö>e, Hirſche, Moſchustiere und Zwergmoſchustiere, deren Eigentümlichkeiten wir bei jeder Abteilung hervorheben werden.

Auch unter den Wiederkäuern gibt es Geſtalten, welche mit den jeßt lebenden Geſchöpfen gleihſam niht mehr in Einklang zu bringen ſind und an die märchenhaften Gebilde längſt vergangener Erdentage erinnern: die auffallendſte von allen iſt die Giraffe. Varro hat ſo unrecht niht, wenn ex dieſes ſonderbare Weſen „ein Gemiſch von Panther und Kamel“ nennt, und die viel ſpäter Lebenden waren ſicherlih entſchuldigt, wenn ſie die von den ägyptiſchen Denkmälern herrührenden Abbildungen eines ihnen wieder entfremdeten Tieres als Traumgebilde einer übermütigen Künſtlerphantaſie bezeichneten. Und wie die Römer über die Giraffen, welche ihnen zu den Spielen des Julius Cäſar und ſpäter noch einige

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