Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 1/3

Giraffe: Vorkommen. Gangweiſe, Stellungen. 135

langſamer und gemeſſener Paß, da ſie beide Läufe einer Seite gleihmäßig bewegt. Ganz anders ſieht ſie aus, wenn ſie flühtig wird. Lichtenſtein ſchildert in ſehr anſchaulicher Weiſe den Eindru> welchen das Tier dann auf den Beobachter macht. „Jh hatte mih“, ſo erzählt er, „zwei Giraffen beinahe auf bequeme Schußweite genähert, als ſie mi bemerkten und entflohen. Aber dieſes Entfliehen war ſo über alle meine Erwartungen wunderbar, daß ih vor Lachen, Staunen und Freude faſt die ganze Jagd vergeſſen hätte. Bei dem ſonderbaren Mißverhältniſſe der vorderen zur hinteren Höhe und der ganzen Höhe zur Länge hat nämlich die ſchnelle Fortbewegung des Tieres große Schwierigkeiten. Wenn Levaillant behauptet, ex habe es traben geſehen, erſpart er mix dadurch die Mühe, ihm zu beweiſen, daß das Tier ihm nie lebendig vor Augen gekommen. Wie in aller Welt ſoll eine Giraffe bei der großen Ungleichheit der Vorder- und Hinterläufe traben? Nur galoppieren kann ſie, wie ih aus Erfahrung verſichern kann. Aber dieſer Galopp iſt ſo ſhwerfällig, lahm und plump, daß man in einem Abſtande von mehreren hundert Schritt, welcher es erſchwert, den zurücgelegten Raum mit der Größe des Tieres und der umgebenden Gegenſtände zu vergleichen, aus der Langſamkeit, mit welcher die Bewegung geſchieht, faſt ſchließen ſollte, ein Menſch könnte es zu Fuße einholen. Dieſe Langſamkeit wird aber erſezt dur< die Weite des Schrittes, indem nah einer ungefähren Meſſung ein jeder Sprung 4—5 m beträgt. Wegen der Größe und Schwere des Vorderteiles iſ die Giraffe niht im ſtande, ſih dur<h die Kraft der Muskeln allein vorn zu heben, ſondern dazu muß eine Zurübiegung des Halſes, wodur< der Schwerpunkt mehr nach hinten gerü>t wird, zu Hilfe kommen; dann erſt iſt es ihr möglich, die Vorderbeine von der Erde zu bringen. Dies geſchieht, ohne ſie zu biegen, und ebenſo ſteil ſeßt ſie dieſelben mit einer gleihmäßigen Bewegung des Halſes nah vorn und, dur die Kraft der Hinterſchenkel vorwärts getrieben, wieder nieder. Mit der neuen Bewegung des Halſes erfolgt das Nachſpringen dex Hinterfüße. So bewegt ſi der Hals in ſtetem Hin- und Herſhwunge faſt wie der Maſt eines auf den Wellen tanzenden oder nach der Seemannsſprache „ſtampſenden“ Schiffes.“ Während der Flucht wirft ſie den Schwanz gekrümmt über den Rücken. Laut Selous- weiß ſie übrigens ihr in den Weg fommenden wagere<hten Äſten ſehr geſchi>t auszuweichen, indem ſie in voller Flucht den langen Hals manchmal anmutig bis zur Erde niederbiegt. Es gehört ein gutes Pferd dazu, um auf größere Entfernung flüchtig gewordene Giraffen einzuholen. Fn Böhms von Noa veröffentlichten Aufzeihnungen aus Oſtafrika findet ſi< folgende Stelle über die Giraffen: „Die Böe oft ſehr groß und dunkel. Sie wechſeln oft bis dicht an die Ortſchaften und ziehen des Abends zum Waſſer in ausgetretenen Pfaden. FJhnen iſt ſehr ſ{<wer anzufommen, da ſie außerordentli< vorſichtig ſind, wobei ihnen die troß der ſcheinbaren Langſamkeit erſtaunlich fördernden Bewegungen und die Beſchaffenheit ihrer Standpläße zu ſtatten tfommen. Doch ſieht man öfter die langen Hälſe über dem dichten Gebüſche, auch ſind ſie ſehr neugierig und haben mehrfah unſere Karawane, obgleich öfter auf ſie geſchoſſen worden war, in gemeſſener Entfernung ſtundenweit dur< die Strauchſteppe begleitet. Die Flucht geht mit dumpfem Poltern in Reihen, aber in keinen Grenadierlinien vor ſih, nie trollend.“

Höchſt eigentümlich iſt eine Stellung, welche das Tier annimmt, wenn es etwas von dem Boden aufnehmen oder wenn es trinken will. Fn älteren Beſchreibungen wird behauptet, daß die Giraffe zu dieſem Ende auf die Kniee niederfalle. Dies mag ſie ausnahmsweiſe thun. Fn der Regel aber bewirkt ſie die Erniedrigung ihres Vorderteiles indem ſie beide Vordexläufe ſo weit auseinander ſtellt, daß ſie bequem mit dem langen Halſe auf den Boden herabreichen kann. Wer dies niht ſelbſt geſehen, hält es für unmöglih. Selous hat ſie übrigens beim Trinken die Vorderläufe nicht bloß ſeitwärts, ſondern ru>weiſe auch vorund rücwärts auseinander ſtellen ſehen, bis ſie ſih genugſam erniedrigt hatten, und Böhm führt ausdrüdli<h an, daß er ſie öfters auf den Knieen äſend, alſo niht grätſchend