Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 1/3

Giraffe: Nahrung. Sinne. Fortpflanzung. Jagdweiſen. 137

ſie, wie das Kamel, lange Zeit das Waſſer entbehren. Für gewöhnlih genügt ihr dei Feuchtigkeit der friſchen Blätter und Schößlinge, und man trifft ſie daher auch in Gegenden, wo auf Meilen hin kein Waſſer zu finden iſt. Jn der tro>enen Fahreszeit aber, wenn die Bäume größtenteils ihres Blätterſ<hmu>es beraubt ſind und die hohen, verdorrten Gräſer ihr dürftige Koſt bieten, geht ſie oft meilenweit nah pfſuhligen Waſſerbe>en oder zu den übriggebliebenen Tümpeln der während der Regenzeit fließenden Ströme herab, um zu trinfen. Solche Orte ſind es, an denen Freiligraths ſchönes Gedicht zur Wahrheit werden fann. Das Wiederkäuen beſorgt die Giraffe ſtehend, hauptſächlich aber nachts; doh ſcheint es ihr niht ſo viel Zeit zu koſten wie anderen Wiederkäuern.

Die Sinne der Giraffe, zumal Geſicht und Gehör, ſind vortrefflih entwidelt, die geiſtigen Fähigkeiten niht minder ausgebildet. Sie iſt Êlug und verſtändig, auch äußerſt liebenswürdig und im Verhältniſſe zu ihrer Größe ein höchſt gutmütiges, friedlihes und ſanftes Geſchöpf, welches niht bloß verträglih mit ſeinesgleichen, ſondern auh mit anderen Tieren lebt, ſolange ihr dieſe niht beſ<werli< oder gefährlih werden. Fm Notfalle weiß ſie ſih recht gut zu verteidigen, — niht mit ihren Hörnern, welche überhaupt bloß zum Schmucke zu dienen ſcheinen, ſondern mit kräftigen Schlägen ihrer langen, ſehnigen Beine. Jn dieſer Weiſe kämpfen die verliebten Männchen unter ſih um die Weibchen; dur<h Ausſ{hlagen beſhüßt die Giraffenmutter ihr Junges vor der tückiſh herbeiſhleihenden Kate, und die Kraft des Schlages iſt ſo gewaltig, daß er ſelbſt einen Löwen fällen kann. Wärter in den Tiergärten müſſen ſi<h man<hmal ſehr in aht nehmen vor den Hufen ihrer Pfleglinge, obgleich ſie ſonſt re<t gut mit ihnen auskommen.

Über die Fortpflanzung der Giraffe hat erſt die Neuzeit uns belehrt. Aus den bisherigen, in verſchiedenen Tiergärten geſammelten Beobachtungen geht hervor, daß die Paarung im März oder Anfang April, der Wurf im Mai oder Juni ſtattfindet, die Dauer der Tragzeit alſo 431—444 Tage oder 14!/4—14!/2 Monate beträgt. Während der Paarungszeit vernahm man von beiden Geſchlehtern ein ſanftes Blöken. Die Männchen ſprangen ohne beſondere Heſtigkeit aufeinander los und rieben ſih gegenſeitig mit ihren Stirnzapfen den Rücken und die Seiten. Ernſte Kämpfe wurden nicht ausgefohten. Die Geburt ging ſchnell und leiht von ſtatten. Das junge Tier kam zuerſt mit den Vorderſüßen und dem Kopfe zur Welt. Nach ſeiner Geburt lag es etwa 1 Minute bewegungslos, dann begann die Atmung; nach einer halben Stunde verſuchte es aufzuſtehen, 20 Minuten ſpäter wankte es nah der Mutter hin. Dieſe bli>te ziemlich gleichgültig auf ihren Sprößling herab, und man mußte am anderen Tage eine Kuh herbeibringen, an welcher die junge Giraffe etwa cinen Monat lang ſaugte. Zehn Stunden nach der Geburt lief das Junge umher, am dritten Lebenstage übte es ſih bereits im Springen. Bei ſeiner Geburt war es 2,1 m lang, die Vorderglieder hatten eine Höhe von Ls m, der Shwanz maß bereits 50 cem. Etwa 9 Monate nach der Geburt dieſes Jungen nahm die Mutter das Männchen von neuem an und warf nah 431 Tagen wiederum ein Junges, welches 12 Stunden nach ſeiner Geburt kräftig an dem Euter der Alten ſaugte. Nah 3 Wochen genoß es Pflanzen, und mit dem Alter von 4 Monaten begann es wiederzukäuen. Jn der erſten Woche ſeines Lebens war es 2, nah 9 Monaten bereits 3 m hoch.

Die Jagd der Giraffe wird von den Eingeborenen Aſrikas wie von den Europäern mit Leidenſchaft betrieben. Erſtere jagen mit Hilfe des Kameles oder Pferdes und ſchlagen dem müde geheßten Tiere, wenn ſie es erreiht haben, mit ihrem Schwerte die Achillesſehne dur<, lähmen es auf dieſe Weiſe und ſhla<ten es dann ab, um das überall ſehr geſchäßgte Fleiſ<h und andere Teile des Giraffenleibes zu benußen. Die Europäer bedienen ſich des Feuergewehres, erlegen aber au<h mit meittragenden Waffen das vorſichtige Tier in der Regel erſt nah längerer Hetzjagd. Die außerordentliche Höhe der Giraffe verleiht ihr