Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 1/3

138 Elſte Ordnung: Paarzeher; erſte Familie: Giraffen.

inſofern einen großen Vorteil, als ſie ihr geſtattet, einen ungemein weiten Geſichtsfreis zu beherrſhen und jeden ſi<h nähernden Feind re<htzeitig wahrzunehmen. Zwar erwähnt von Heuglin, daß es ihm im Waldgürtel wiederholt gelungen ſei, Giraffen ohne Anwendung beſonderer Vorſichtsmaßregeln bis auf Piſtolenſhußweite zu beſchleihen, ſcheint aber der einzige zu ſein, welchem dies gelungen iſt. Alle übrigen Beobachter und Jäger ſtimmen darin überein, daß ſi< faum ein Tier der afrikaniſhen Wildnis ſ{<werer nahe kommen laſſe als die Giraſſe. Wenige der dort lebenden Wildarten auh ermüden die Pferde der nachſezenden Jäger mehr als ſie. Zwar begnügt ſie ſi, eine gewiſſe Entfernung zwiſchen ſich und ihrem Verfolger innezuhalten, dauert aber im Laufe länger aus als das beſte Pferd, vorausgeſeßt, daß der Boden niht ungünſtig für ſie iſ; denn gegen eine Anhöhe hinaufzulaufen, wird ihr begreiflicherweiſe im höchſten Grade beſhwerlih. Nah Sir Samuel Baker hat der Jäger bei Verfolgung der Giraffe gleih vom Anfange der Jagd an das Wettrennen im ſchnellſten Laufe aufzunehmen. Läßt man die Giraffe in den erſten fünf Minuten einen Vorteil gewinnen, ſo fällt das Rennen gegen das Pferd aus. Nah Selous? Erfahrungen kann man fliehenden Giraffen , weil ſie nur în höchſter Not ihre volle Geſ<hwindigkeit entwi>eln, mit einem niht ganz ſ{hle<ten Pferde wenigſtens ſo nahe kommen, daß man, ſchnell aus dem Sattel ſpringend, ihnen eine wohlgezielte Kugel na<hſenden fann.

Vielfach iſt die Verwendung der erlegten Giraffe. Man benust die Haut zu allerlei Lederwert, den Shwanzquaſt zu Fliegenwedeln, die Hufe zu Horngegenſtänden und genießt Das vortreffliche Fleiſch. Noch lieber aber ſieht man es, wenn man eine Giraffe lebend bekommen fann. Überall iſt man dem auffallenden Tiere gewogen, überall freut man ſi, es um ſih zu haben. Jn den inneraſrikaniſhen Städten ſieht man oft ein paar Giraffenhäupter über die hohen Umfaſſungs8mauern eines Gartens hervorragen, und nicht ſelten begegnet man in der Nähe von Ortſchaften gezähmten Tieren, welche nah Belieben umhergehen. Bei unſerer Ankunſt in Karkodj, einer Ortſchaft am Blauen Fluſſe, kam zuerſt eine Giraffe an unſere Barke, gleihſam in der Abſicht, uns zu begrüßen. Sie ging vertraulich auf uns zu, trat dicht an unſer Boot heran, fraß uns Brot und Durrhakörner aus der Hand und behandelte uns ſo freundli<, als wären wir ihre alten Bekannten. Gar bald merkte ſie, wie große Freude wir an ihr hatten; denn ſie kam nun alle Tage, ſolange wir uns in der Nähe dieſer Ortſchaft aufhielten, mehrmals zu uns, um ſich liebkoſen zu laſſen. Der arabiſche Name „Serafe“/ die Liebliche, welchen unſer Wort Giraffe verſtümmelt wiedergibt, wurde mix verſtändlih. Fh freute mih unausſpre<li<, einmal im freien Zuſtande ein fo ſonderbares Tier in allen ſeinen Bewegungen beobachten zu können.

Jn Europa erregten die Giraffen, welche man ſeit faſt drei Fahrhunderten zum erſtenmal wieder lebend zu ſehen bekam, ungeheures Aufſehen. Das Tier war inzwiſchen beinahe zu einem Fabelweſen geworden, obglei<h Levaillant es verhältnismäßig genau geſchildert hatte. Der Paſcha von Ägypten erfuhr, daß Araber von Sennar ein Paar junge Giraffen mit Kamelmilh glülih aufgezogen hatten, beſtimmte dieſe Tiere zu Geſchenken für europäiſche Monarchen, ließ ſie nah Kairo bringen, dort drei Monate lang in ſeinen Gärten für die weitere Reiſe ausruhen und pflegen und hierauf auf großen Barken nah Alexandrien befördern, woſelbſt ſie eingeſchifft wurden. Die Konſuln von England und Frankreich loſten um die beiden weiblihen Tiere, welche auh glü>lih an ihrem Beſtimmungsorte anlangten, das für London beſtimmte am 11. Auguſt 1827. Jn Paris bemächtigte ſih die Mode der abenteuerlichen Tiere: man trug ſih no< im Jahre 1828 à la girafe. Thibaut, ein mir wohlbekannter Bewohner Kordofans, brachte im Fahre 1834 andere Giraffen, welche er in den Steppen des von ihm bewohnten Landes gejagt und gefangen hatte, lebend nah Europa. Die Jungen bekam er erſt in ſeine Gewalt, nachdem die Alten getödtet worden waren. Nach ſeinen Berichten verurſacht der Fang re<t große Mühen und Beſchwerden. Man muß