Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 1/3

Hausziegen: Weideleben. Kletterfünſte. Verbreitung. Nahrung. 209

ſo ſhnellten ſih dieſe von den hohen, ſ{<wankenden Zweigen mit gewaltigem Sprunge auf die Blattbüſchel der niederen Äſte, um von dieſen aus ſi< auf die Erde gleiten oder fallen zu laſſen. Dabei ſtießen die Tiere ſonderbare Laute aus, etwa wie „kululu purz, purz, purz, kululu purz, purz, purz‘, die ih bei europäiſchen Ziegen nie gehört habe.“ Die fleiſchige Frucht des Arganbaumes enthält eine hartſchalige Nuß, deren Kern von den Bewohnern jener Gebiete zur Gewinnung eines geſchäßten Speiſeöles verarbeitet wird. Hierbei werden ſie, laut Sir Foſeph Hooker, außer von anderen Haustieren auch von den Ziegen unterſtüßt, welche die Früchte leidenſchaftlih gern freſſen, die Fleiſchhülle verdauen, die nußartigen Kerne aber ſpäter beim Wiederkäuen von ſih geben und ſo, vom Fleiſche befreit, ihren Herren daheim zum Aufſammeln ablagern.

Auch in Weſtafrika laufen die Ziegen nah Belieben umher, ſteigen auf niedere, \{<rägſtämmige Bäume und klettern ſelbſt an quergeriegelten Zäunen empor, werden aber, wo Leoparden, ihre ſ{<limmſten Feinde, vorkommen, des Nachts gut verwahrt. Sie ſind den Menſchen, auh dem Europäer, zugethan; der Reiſende, der Ziegen mit ſi führt, hat ſich höchſtens anfangs um ſie zu kümmern, denn meiſt ſhon nach einigen Tagen haben ſie ſih der Karawane vollſtändig eingefügt. Des Nachts drängen ſie ſi zutraulich zwiſchen die Leute ans Lagerfeuer und ſuchen die behaglihſten und wärmſten Pläße zu gewinnen. Bei Mäxſchen iſt aber, und dies gilt auch für die ſüdafrikaniſchen Ziegen, ihre Ausdauer bei weitem nicht ſo groß wie die der Schafe. Jm übrigen ſind ſie mutig, eigenwillig ſowie ſehr leer in der Auswahl ihrer Nahrung. „Der Mut der Tiere“, ſchreibt Pehuel-Loeſche, „iſt für unſere Begriffe ganz ungewöhnli<h; die ſtärkeren einer Herde treten für die ſchwächeren ein, und europäiſche Hirtenhunde werden mit ihnen nicht fertig. Unſer ſchneidigſter Shäferhund von beſter pommerſcher Raſſe weigerte ſich, ihnen gegenüber ſeines Amtes zu walten: er war zu oft ſchón, ſelbſt von Geißen, niedergerannt worden und hatte {mähli<h flüchten müſſen. Einem bösartigen eten Bullenbeißer, welcher in der Faktorei eines Portugieſen auf etlihe Ziegen geheßt wurde, erging es no< übler. Er kannte ſeine Gegner bereits und wagte ſih gar niht hinan, ſondern umſprang ſie bloß mit lautem Gebelle. Der Hauptbo> wurde deſſen endli<h überdrüſſig, ſprang jäh auf den ſtarken Hund, ſtieß ihn nieder, nahm ihn auf die Hörner und ſchleuderte ihn gewiß ſehs Schritt weit fort. Ehe der Geworfene

ſich aufraffen konnte, war der Sieger ſhon wieder über ihm, und es bedurfte der Ein-

miſchung des BVeſißers, um ihn vor ernſtlihem Schaden zu bewahren.“

Amerika hat die Ziege erſt durch die Europäer erhalten. Heutzutage iſt ſie über den Süden wie über den Norden des Erdteiles verbreitet; doh betreibt man ihre Zucht nicht immer rätlih, ſcheint ſie in manchen Gegenden ſogar ſehr zu vernachläſſigen, ſo in Peru und Paraguay, in Braſilien und Surinam, wogegen man in Chile mehr auf ſie achtet. Jn Auſtralien iſt das nüßliche Geſchöpf ebenfalls eingeführt worden und hat eine bedeutende Verbreitung erlangt.

Nach Beobachtungen, welche man angeſtellt haben will, frißt die Ziege bei uns zu Lande von 576 Pflanzenarten 449. Jhre Unſtetheit und Launenhaſtigkeit zeigt ſih deutlih beim Aſen. Sie haſcht beſtändig nah neuem Genuſſe, pflü>>t allerwärts nur wenig, unterſucht und naſcht von dieſem und jenem und hält ſi< nicht einmal beim Beſten auf. Beſonders erpicht iſt ſie auf das Laub der Bäume, richtet deshalb in Schonungen auch ſehr bedeutenden Schaden an. Merkwürdigerweiſe frißt ſie einzelne Pflanzen, welche anderen Tieren ſehr [hädli<h ſind, ohne Nahteil: ſo Wolfsmilh, Schellkraut, Seidelbaſt und Eberwurz, den ſcharfenMauerpfeffer, Huflattich, Meliſſe, Salbei, Schierling, Hundspeterſilie und ähnliches Kraut, mit Vergnügen au<h Nauchtabak, Zigarrenſtummel und dergleichen. Vom Genuſſe der Wolf3mil< bekommt ſie gewöhnlih den Durchfall; Eibe und Fingerhut ſind Gift für ſie. Am liebſten nimmt ſie junge Blätter und Blüten von Hülſenpflanzen, Blätter der Kohl- und

Brehm, Tierleben. 3. Auflage. 11. 14