Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 2/1

$76 Erſte Drdnung: Baumvögel; zweiunddreißigſte Familie: Kolibris.

auf den Paramos der Sierra Nevada, ſobald die vom Volke treffend „Rieſenmönche“ genannten, für die Gegend bezeihnenden, auf unſerer Abbildung dargeſtellten Alpenpflanzen ihre Blüten entfalten, und verſhwindet wieder, wenn dieſe ſih geſ<loſſen haben; andére fommen und gehen in gleiher Weiſe, ſo wie ihre Blumen erblühen und verwelken.

Schon der ſehr verſchiedene Bau des Schnabels läßt {ließen, daß gewiſſe Arten nur beſtimmte Blüten dur<ſuchen und unfähig ſind, andere auszubeuten. Einzelne Arten mögen allerdings nicht beſonders wähleriſch ſein: vom nordamerikaniſchen Kolibri z. B., behauptet Wilſon, daß die Hälfte der Flora ſeiner Heimat ihm zollen müſſe; andere aber beſ<hränken ſih niht bloß auf gewiſſe Bäume, ſondern ſogar auf eine gewiſſe Wipfelhöhe. Dieſe unterſuchen eifrig die Blüten der oberen Zweige, jene tiefer ſtehende, die einen das Gelaube, die andern den ſaſtſ<wißenden Stamm, um ſi ihr tägliches Brot zu erwerben. Vom Zwergtolibri ſagt Goſſe, daß er faſt nur die Blüten der niederen Pflanzen hart über dem Boden ausbeute; die Sonnenvögel ſieht man, laut Bates, bloß ausnahmsweiſe auf Blumen oder Blüten, die in den von ihnen bewohnten ſchattigen Wäldern eine Seltenheit ſind: ſie leſen vielmehr ihre Kerbtiernahrung von den Blättern ab, indem ſie ſi<h mit unvergleihlicher Gewandtheit in dem Gelaube bewegen und jedes einzelne Blatt von oben und unten beſichtigen. So nimmt es uns au< niht wunder, wenn wix bemerken, daß manche Jnſeln ihre beſonderen Kolibris beherbergen, ſo z. B. auf Juan Fernandez eine Art vorkommt, die auf den benachbarten Eilanden niht gefunden wird, daß der Zwergkolibri von Jamaika ſih nicht bis na< Cuba verfliegt. An Fähigkeit größere Reiſen zu machen, fehlt es ihnen nicht: dies beweiſen viele Arten zur Genüge; auh findet das Gegenteil von dem eben Geſagten inſofern ſtatt, als einzelne Arten ſi<h über den halben Erdteil verbreiten.

Mit dieſer Abhängigkeit der Kolibris ſteht im Einklange, daß die Gleicherländer Amerifas beſonders rei<h an ihnen ſind. Von den 390 Arten, die Wallace annimmt, finden fih 275 in den Gleicherländern Südamerikas, 100 (zum Teil dieſelben) in den Wendekreisländern Nordamerikas, 15 im gemäßigten Gürtel der Südhälfte, 12 in dem der Nordhälfte und 15 auf den Antillen. Doh würde man irren, wenn man glauben wollte, daß die Waldungen der Tiefe, in welchen das Pflanzenleben die höchſte Entwickelung erreicht, die eigentlichen Paradieſe für die Kolibris wären. Die wunderbar prächtigen Blumen jener Waldungen werden ſelbſtverſtändlih nicht verſhmäht, im Gegenteile, wenigſtens zeitweilig, von ihnen umſ<hwärmt und dur<hſucht: aber nicht die Menge der Blüten iſt es, die ihren Artenreichtum bedingt, ſondern deren Mannigfaltigkeit. Nach dem Stande unſerer derzeitigen Forſchungen dürfen wir annehmen, daß die Gebirgsgegenden Süd- und Mittelamerikas die größte Artenzahl von Kolibris beherbergen und den Geſtaltenreihtum dieſer Ordnung am augenfälligſten offenbaren. „Es gewährt einen Hohgenuß“/ ſ{hreibt mir Göring vom Helmkolibri, „das heitere Spiel des zierlichen Geſchöpfes zu belauſchen, wenn es in den einſamen Höhen des gewaltigen Gebirges die gelben Blumenkvonen der Mönchspflanzen umgaukelt hier und da nippend und zuweilen auf Augenbli>e ausruhend. Kaum vermag das Auge ihnen zu folgen, ſo ſ{hnell jagen ſie zwiſchen den blühenden Stumpfen der ſo eigentümlichen Pflanzen hindur<h, und dennoch irrt der ſuchende Blik immer und immer wieder hinter ihnen her. Ft es doch der Helmkolibri, der hier noh ſein Geſchlecht vertritt, nachdem ſo viele andere nah und nah in tiefer gelegenen Höhengürteln des Gebirges zurüd:geblieben ſind.“

Ein bevorzugtes Land ſcheint Mexiko zu ſein: es iſt die Heimat von mehr als einem Fünftel aller Kolibris, die bis jezt bekannt geworden ſind, und es läßt ſih vorausſagen, daß zu denen, die man hier fand, noch ſehr viele bisher unbekannte kommen werden, wenn das weite und noh wenig unterſuchte Reih beſſer dur<hforſht werden wird. Mexiko vereinigt freilih alle Bedingungen für eine ſolche Mannigfaltigkeit: es iſt das wechſelreicſte