Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 2/1

Kolibris: Verbreitung. Aufenthalt. DriSveränderungen. 677

Land Mittelamerikas, beſißt alle Bürtel der Höhe und damit gleichzeitig die verſchiedenèn Jahreszeiten oder wenigſtens deren Wärmegrade. Der Beobachter, der dieſes wunderbare Stück Erde betritt, ſieht ſi< überall umſhwebt von den ſhimmernden Geſtalten. Er findet ſie in der heißen Tiefe wie in der eiſigen Höhe, da, wo das Waſſer ſeine belebende Kraft äußerte und die ganze Fülle der Gleicherländer erzeugte, dort, wo die ſonnenverbrannte Ebene nur den Kaktus ernährt, und von hier aus bis zu den ſteinigen Halden der Feuerberge empor. „Sie tragen“, wie Gould ſi<h ausdrüdt, „ihren unnahahmlihen Schmu ſelbſt in die Spalten der vulfaniſhen Trümmer; ſie beleben die Gegenden, in welche ſi<h kein menſ<hlicher Fuß verirrt; ſie flüſtern dem ſtumpfen Ohre der kalten Einöde ihre zarten Töne zu.“ FJhre beliebteſten Aufenthaltsorte bleiben aber unter allen Umſtänden die blumigen Wieſen und das blühende Geſtrüpp der Steppenlandſchaften, in Blüte ſtehende Gebüſche und Gärten. Hier ſieht man ſie diht über dem Boden dahinjagen, von einer Blume zur anderen gaukeln und oft in innigſter Gemeinſchaft mit den honigtrinkenden Bienen und den neftarſaugenden Schmetterlingen ihrer Jagd obliegen.

Noch konnte niht mit Sicherheit feſtgeſtellt werden, inwieweit auch diejenigen Kolibris welche niht wandern, als Standvögel anzuſehen ſind. Man darf vorausſeten, daß keine einzige Art jahraus jahrein in derſelben Örtlichkeit verweilt, vielmehr, der Jahres- oder wenigſtens der Blütenzeit entſprechend, bald hierhin, bald dorthin ſi<h wendet, möglicherweiſe mit Ausſ<hluß der Niſtzeit beſtändig herumſtreiht. Alle Beobachter, welche längere Zeit an einem Orte lebten, ſtimmen darin überein, daß ſi<h gewiſſe Arten nur zu beſtimmten Jahreszeiten zeigen. So verſichert Bullo> daß viele der in Mexiko lebenden Kolibris ih bloß im Vorſommer ſehen laſſen. Einzelne erſchienen im Mai und Juni maſſenhaft in dem Pflanzengarten der Hauptſtadt, und es wax dann leiht, viele von ihnen zu erhalten, während man dieſelben Arten zu anderen Zeiten des Jahres niht bemerkte. Dasſelbe beobachtete Reeves bei Rio de Janeiro, dasſelbe Bates während ſeiner elfjährigen Forſchungen am Amazonenſtrome; dasſelbe erfuhren alle übrigen Forſcher, die dieſen merkwürdigen Geſchöpfen längere Zeit, d, h. Monate oder Fahre nacheinander, ihre Aufmerkſamkeit widmen fonnten. Wahrſcheinlich ſtreichen alle Arten mehr oder weniger weit im Lande umher. Die, welche die Höhe bewohnen, werden zeitweilig gezwungen ſein, in tiefere Gegenden hinabzuſteigen, und die, die da leben, wo ewiger Frühling herrſcht oder doh fortwährendes Erneuern der Pflanzenwelt ſtattfindet, wo es das ganze Jahr hindur< Blüten und Blumen gibt, dieſe glü>lihen werden wenigſtens der Blüten halber von einem Orte zum anderen ſih begeben müſſen.

Es iſt bekannt, daß die Kolibris gewiſſe Bäume maſſenhaft beſuchen, ſolange ſie in Blüte ſtehen, ſonſt aber ſi< wenig um ſie bekümmern; man hat auch beobachtet, daß ſie, wenn ein Baum gerade zu blühen begonnen, oft ungewöhnlih zahlreih ſi< einſtellen, ganz ebenſo, wie es die honigſuchenden Kerbtiere thun. Sie fliegen dann plöblih von allen Seiten herbei, ohne daß man weiß, woher ſie fommen, und ſie beſuchen den Baum tagtäglih, ſolange er blüht. Dieſe Drtsveränderungen ſind aber mit den eigentlihen Wanderungen niht zu vergleichen. Einen regelmäßigen Zug haben diejenigen Arten, welche in dem nördlichen oder ſüdlichen gemäßigten Gürtel heimiſch ſind. Sie erſcheinen faſt mit derſelben Regelmäßigkeit wie bei uns die Shwalben, verweilen im Lande, brüten und treten mit Einbruch der kalten Fahreszeit wiederum eine Reiſe nah wärmeren Gegenden an. Der nordamerifaniſche Kolibri (Trochilus colubris) trifft, nah Audubon, in Louiſiana ſelten vor dem 10. März, in den mittleren Staaten ſelten vor dem 15. April, gewöhnlich erſt zu Anfang Mai ein und verweilt bis Ende September, in Florida bis zum November. Auf Cuba erſcheint er ausſ<ließli< als Zugvogel: Gundlach hat ihn aber immer nux in den erſten Tagen des Monats April und aus\{<ließli< im weſtlichen Teile der Jnſel beobachtet