Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 2/2, page 522
482 Vierte Ordnung: Hühnervögel; erſte Familie: Faſanvögel,
hieb nach allem, was ſi< ihm näherte. Dies gab mir Veranlaſſung, ſein Geſicht zu prüfen. Während er ſchleifte, ſtre>te ih die Hand aus, als wolle ih ſeinen Kopf berühren. J< mußte aber jedesmal die Hand zurükziehen, denn im vollen Schleifen hieb er nach ihr; ja no< mehr, wenn er ſhleifte und uns den Rücken zuwendete, kam er ſogleih angeſprungen, wenn man ihn z. B. am Schwanze greifen wollte.“
Dex vielerfahrene Wurm ſchildert und erklärt die Vorgänge in folgender Weiſe: „Die Sinne des balzenden Hahnes ſind allerdings etwas befangen, wenn er ſih, jedo<h nur nach ängſtlihſtem Sichern, der Singluſt, der Liebesregung, eiferſüchtigen Kämpfen überläßt, indeſſen niht mehr als bei anderen Tieren oder ſelbſt beim Menſchen in ähnlichen Lagen. Alle Erfahrungen und Verſuche lehren, daß der Auerhahn ſelbſt im hißigſten Schleifen vortrefflih äugt, normal empfindet und alle ſeine Bewegungen beherrſcht. Er erſcheint nur darum bei der Hohbalz (weniger bei der Bodenbalz) blind, weil er in dieſen Momenten den Kopf in die Höhe zu ſtre>en und häufig die Nickhäute vorzuziehen pflegt. Dagegen iſt ſeine völlige Taubheit während der Schleiſparoxysmen eine ebenſo unumſtößlihe wie einzige Thatſache. Die wenigen Verſuche an gefangenen Hähnen, die ſie abzuſ<hwächen ſcheinen, ſind belanglos, weil erſtens dieſe halbzahmen Vögel an ſi< nur mit Zurückhaltung balzen, weil zweitens ihre angeblichen Schallwahrnehmungen ſih ebenſogut als Gefühlsoder Geſichtseindrü>e auffaſſen laſſen, und weil drittens hundertfältige eigne Proben bei Balzjagden (Huſten, Schreien, Eis- und Aſtbrehen, Fehlſhüſſe auf wenige Schritt Entfernung) alle Hähne ausnahmslos und vollkommen taub erwieſen. Jm Beſige ſolher unbefangener Beobachtungen muß ich die Ännahme einer „Seelentaubheit‘, die alte Phraſe von „Liebestollheit und Verzü>ung“ unbedingt zurü>weiſen und eine auf die Schleif momente begrenzte, me<an iſ< (anatomiſh-phyſiologiſch) bedingte Gehörloſigkeit annehmen. Und dieſe beruht na< meinen vor 18 Jahren veröffentlichten erſten Unterſuchungen der Saqe darin, daß die mit dem Schleifen verknüpfte, heftig preſſende Körperanſtrengung, die ſelbſt den ſtärkſten Stamm des Balzbaumes der angelegten Hand fühlbar erzittern macht, Blutſtauungen am Kopfe, ähnlich wie bei einem hornblaſenden oder heftig huſtenden Menſchen, verurſaht. Nun hängt aber gerade beim Auerhahne (in etwas anderer Anordnung auch beim Truthahne) an der hinteren Gehörgangwand eine große „Schwellfalte‘ herab, die, wenn blutſtroßend, zu einen zeitweiligen Verſchluſſe des Gehörganges um ſo mehr führt, als gleichzeitig ein nur dem Auerhahne in dieſer enormen Entwi>elung (25—27 mm) eigner Knochenfortſaß des Unterkieferwinkels während des unter weiter Sc<hnabelöffnung erfolgenden Shhleifens vor der Ohröffnung ſich weit nah vorn bewegt und leßtere dadurt förmlich zuſammendrü>t. Derſelbe Mechanismus und dieſelbe Taubheit tritt in Wirkſamkeit, wenn der Hahn (ohne alle Begattungen) im Herbſte „ſingt“, wenn er blaſend auf einen verbellenden Hund vom Baume herunterhaßt, wenn er mit einem Nebenbuhler kämpft. Klappt der Vogel den Schnabel zu, ſo vernimmt er wieder äußerſt fein. Unſere Leſer können ſich dieſe Auerhahntaubheit jederzeit ſelbſt machen, wenn ſie mit den Fingern beide Ohröffnungen verſtopfen und nun laut ſprehen; das Brauſen der eignen Stimme übertönt dann jeden äußeren Lärm. Von Verzückung oder Sinnloſigkeit keine Rede! Dieſe meine Erklärung ward von faſt allen Forſchern und Weidmännern ſofort angenommen. Nuv von Graff will die Zuſammendrü>ung dur den Unterkieferfortſaß aus\<hließen und einzig die Schwellfalte wirken laſſen, während Schwalbe beide verwirft und Lufteinpreſſung für „wahrſcheinlich“ hält. Dies erſcheint wieder mir unwahrſcheinlih, da auch Auerhähne mit friſchen Luſftröhrenwunden taub beim Balzen ſind, und da ſie ja ausnahmslos den Schnabel beim Schleifen weit öffnen, alſo unmöglich zugleih Luft einzupreſſen vermögen. Ewald endlih glaubt nah ſeinen an Tauben angeſtellten Unterſuchungen eine Zerrung des Trommelfelles und geſteigerten Dru> des Gehörwaſſers als Grund der „Schwerhörigkeit“ annehmen zu