Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 2/2, page 523
Auerhuhn: Balz. Gebaren. Taubheit. Tollheiten. Kämpfe. 483
ſollen. Aber dann müßte doh wohl jeder ſingende Vogel taub ſein? Wir verweilten bei dieſer Frage länger, weil ſie niht nur wiſſenſchaftlih höchſt intereſſant iſt, ſondern au< den ſpringenden Punkt der Auerhahnjagd berührt, indem ohne das Eintreten dieſer periodiſchen Taubheit eine ſolche in der geübten Weiſe gar niht möglih wäre. Man mag ja manchmal einen „zerſtreuten“ ſchreienden Hirſch, einen rodelnden Birkhahn eine ru>ſende Taube, eine wurmende Shnepfe, einen würgenden Fus 2c. ungehört ſchußmäßig angehen tönnen, aber dieſe Seelentaubheit iſt weitaus ſeltener, unvollkommener und unbegrenzter als die außerordentli<he Auerhahntaubheit.“
Die ungewöhnliche Aufregung, in welcher der Vogel ſi< während der Balz befindet, manchmal eine Verwundung am Kopfe, läßt es einigermaßen erklärlich erſcheinen, daß er zuweilen die unglaublichſten Tollheiten begeht. So berichtet Wildungen von einem Auerhahne, der ſih plößlih auf ſägende Holzmacher ſtürzte, ſie mit den Flügeln ſ{hlug, nah ihnen ha>te und ſi< kaum vertreiben ließ. Ein anderer flog, nah Angabe desſelben Schriftſtellers, ſogar auf das Feld heraus, ſtellte ſi< den Pferden eines A>ersmannes in den Weg und mate dieſe ſcheu; ein dritter nahm jedermann an, der ſich ſeinem Standorte näherte, verſuchte ſogar mit den Pferden der Forſtleute anzubinden. „„Vor mehreren Jahren“, erzählt mein Vater, „lebte in der Nähe meines Wohnortes ein Auerhahn, der die allgemeine Aufmerkſamkeit auf ſi< zog. Während und nach der Balzzeit hielt er \ſi< in der Nähe eines ziemlih beſu<hten Weges auf und zeigte da, daß er alle Furcht vor den Menſchen gänzlih abgelegt hatte. Anſtatt vor ihnen zu fliehen, näherte er ſih ihnen, lief neben ihnen her, biß ſie in die Beine, ſ<hlug mit den Flügeln und war ſ{<wer zu entfernen. Ein Jäger ergriff ihn und trug ihn na einem zwei Wegſtunden von dieſem Wege entfernten Orte. Am anderen Tage war er {hon wieder an der alten Stelle. Ein Jagdfreund nahm ihn von dem Boden weg und unter den Arm, um ihn dem Oberförſter zu überbringen. Der Auerhahn verhielt ſi< anfangs ruhig; als er ſi< aber ſeiner Freiheit beraubt ſah, begann er mit den Füßen zu ſharren, ſo daß er dem Träger den Ro zerſete und freigelaſſen werden mußte. Für abergläubiſche Menſchen war dieſer Vogel ein fur<tbares Tier. Da er oft Holzdiebe überraſchte, ſo ging in der ganzen Gegend die Sage, die Jäger hätten einen böſen Geiſt in den Auerhahn gebannt und zwängen ihn, immer da zu erſcheinen, wo ſie ſich nicht ſelbſt einfinden könnten. Dieſer Wahn erhielt unſerem Vogel, der eine ganz beſondere Kampfluſt gegen die Menſchen zu haben ſchien, mehrere Monate das Leben, bis er verſhwand, ohne daß man wußte, auf welche Weiſe. Wahrſcheinlich hat ihn ein ſtarker Geiſt, deren es in unſerer Gegend auch gibt, ergriffen und getötet.“
Zn der Regel verſteigt ſi< der Mut des Auerhahnes nicht ſo hoh; eine gewiſſe Kampfluſt aber zeigt er während ſeiner Balz unter allen Umſtänden. Ein alter Hahn duldet keinen jungen in einem Umkreiſe von ungefähr 500 Sritt, gibt es auh nicht zu, daß ein junger balzt, und kämpft mit jedem Nebenbuhler, welcher ſih widerſeßt, nach Nitterart auf Leben und Tod. Fm günſtigſten Falle bringt einer dem anderen ſchwere Verwundungen am Kopfe bei; nicht allzu ſelten aber bleibt einer der Kämpen tot auf dem Plate liegen. Junge Hähne, die in ihrer Nähe einen alten ſtarken Valzhelden wiſſen, laſſen ſih nur leiſe hören.
Das Balzen währt bis nach Sonnenaufgang und pflegt am lebhafteſten zu ſein, wenn der Tag anbriht. Man will bemerkt haben, daß alle Hähne beſonders eifrig balzen, wenn in den Morgenſtunden die Mondſichel am Himmel ſteht: die Urſache dürfte wahrſcheinlich nux in der größeren Helle des Morgens zu ſuchen ſein. Nachdem der Tag vollkommen angebrochen iſt, ſteht der Hahn ab und verfügt ſih zu den Hennen, die ſih in einiger Entfernung von ihm herumtreiben. Zuweilen geſchieht es, daß eins der verliebten Weiber lo>dend dem balzenden Hahne naht und ihn mit zärtlihem „Bak bak“ zu ſi einladet. Einer ſolhen Lo>ung vermag ſein Herz nicht allzulange zu widerſtehen: er fällt zuweilen,
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