Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 2/2

Truthuhn: Wanderungen. Fortpflanzung. Gelege. 609

aber laufen fie anfänglih wie betäubt umher und vergeſſen die ihnen ſonſt eigne Vorſicht oft ſo, daß ſie dem Jäger leicht zur Beute fallen. Wenn die Truthühner in eine nahrungsreiche Gegend kommen, pflegen ſie ſih in kleinere Geſellſchaften zu zerteilen, und nunmehr miſcht ſich alt und jung untereinander. Dies geſchieht gewöhnlih Mitte November. Später fann es vorkommen, daß ſie ſich, abgemattet von der Wanderung, Bauernhäuſern nähern, unter den Hühnerſtand miſchen und mit ihm in Hof und Stall eintreten.

Um Mitte Februar regt ſih der Fortpflanzungstrieb. Die Weibchen trennen ſich von den Männchen, und von nun an ſ{hlafen die Geſchlechter geſondert, jedo<h in niht weiten Entfernungen voneinander. Stößt eins der Weibchen ſeinen Lo>ruf aus ſo antworten alle Hähne, welche ihn hören, mit {nell aufeinander folgenden rollenden Tönen. Erſchallt der Lo>ruf vom Boden herauf, ſo fliegen alle ſofort hernieder, ſhlagen in dem Augenbli>e des Auffallens, gleichviel, ob ein Weibchen in Sicht iſt oder niht, ein Rad, werfen den Kopf auf die Schulter zurü>, ſ{leifen mit den Flügeln und geben die ſonderbaren Stellungen, Laute und Geräuſche zum beſten, die wir bei den gezähmten Nachkommen zu ſehen gewohnt ſind. Dabei geſchieht es nicht ſelten, daß zwei Männchen miteinander in Streit geraten und ſo heftig kämpfen, daß einer unter den Schlägen des anderen ſein Leben aushauchen muß. Als auffallend hebt Audubon hervor, daß der Sieger ſeinen getöteten Gegner feineswegs mit Haß betrachtet, ſondern ſi vor ihm ebenſo gebärdet, als ob er eine Henne liebkoſen wolle. Hat der Hahn eine ſolche entde>t und ſich ihr genähert, ſo ahmt ſie, wenn ſie älter als ein Fahr iſt, ſeine Stellungen in der Regel nah, naht dann aber ihrerſeits, legt fih auf den Boden und fordert ihn ſo zur Begattung auf. Jüngeren Hennen gegenüber trägt ſich der verliebte Hahn weniger pomphaft, bewegt ſi mit großer Schnelligkeit, erhebt ſih zuweilen vom Boden, fliegt um ſie herum, rennt nah dem Auffußen mit aller Macht auf ſie zu, verſcheucht ihre Furcht durch ein Knurren und erringt ſich ſ{ließlih auch ihre Willfährigkeit. Es ſcheint, daß ein Hahn und eine Henne, die ſi in dieſer Weiſe vereinigen, während des Sommers in einer gewiſſen Verbindung bleiben, wenn ſchon der erſtere ſeine Aufmerkſamkeit keineswegs einem einzigen Weibchen widmet. Die Hennen ihrerſeits folgen dem bevorzugten Hahne, bis ſie zu legen beginnen und nunmehr ſich vereinzeln und vor dem Hahne verſte>en. Dieſer zeigt ſi läſſig und faul, ſobald er ſeinem Fortpflanzungstriebe genügt hat, unterläßt Kämpfe mit anderen ſeiner Art, kollert weniger und kümmert ſih kaum no< um die Hennen, die nun ihrerſeits um den unhöflihen Gemahl ſtöhnen, ihm um den Bart gehen, ihn liebkoſen und alle Mittel in Bewegung ſeßen, die erſtorbene Glut ſeiner Gefühle wieder anzufahen. Schließlich trennen ſich die Hähne gänzlich von den Hennen, und dann werden ſie zuweilen ſo faul, ſo gleichgültig, daß ſie ſelbſt den feindlihen Menſchen kaum mehr beachten.

Wenn das Frühjahr tro>en iſt, ſucht ſi die Henne um Mitte April einen geeigneten, möglichſt verſte>ten Niſtplaß aus. Laut Dodge ſoll ſie dieſen auh vor dem Hahne verxbergen, weil er die Jungen zu töten pflege. Das Neſt beſteht aus einer ſeichten, liederlih mit Federn ausgekleideten Vertiefung; das Gelege zählt 10—15, zuweilen auh 20, auf dunkel rauhgelbem Grunde rot gepunftete Eier. Dem Neſte naht ſich die Henne ſtets mit größter Vorſicht und de>t, wenn ſie es verläßt, die Eier ſorgfältig mit tro>enen Blättern zu, ſo daß es ſehr ſ<wer iſt, überhaupt ein Neſt aufzufinden, wenn man nicht gerade die brütende Mutter davon aufſcheuht. Gewahrt dieſe, während ſie brütet, einen Feind, ſo drü>t ſie ſih nieder und rührt ſih niht, bis ſie merkt, daß ſie entde>t wurde. Audubon erzählt, daß er, wenn er ſi< dur< Pfeifen oder lautes Sprechen den Anſchein der Unachtſamkeit gab, einem Neſte oft bis auf wenige Schritte nahen konnte, ohne die Henne zu verſcheuchen , wogegen ſie, wenn er vorſichtig hinanſhlih, ſtets in einer Entfernung von wenigſtens 20 Schritt aufſtand und davonlief. Übrigens verläßt die Alte die von einem

Brehm, Tierleben. 3. Auflage. Y. 39