Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 2/2

654 Fünſte Drdnung: Rallenvögel; erſte Familie: Rallen.

Jm Frühjahre hat jedes Pärchen längere Kämpfe mit anderen zu beſtehen, die ſi< erſt einen Standort ſuchen müſſen. Naht ein \remdes Teichhuhn, ſo fährt das Männchen mit aufgeſträubten Flügeln, niedergedrü>tem Kopfe, halb {wimmend, halb auf dem Waſſer laufend, gegen den Eindringling los, ha>t und kraßzt mit Schnabel und Füßen, ſchlägt au<h mit den Flügeln und ruft, wenn jener niht weichen will, die Gattin zu Hilfe, bis der Gegner vertrieben iſt. Solche Kämpfe werden au< dann noh ausgefochten, wenn bereits der Bau des Neſtes in Angriff genommen wurde. Dieſes ſteht gewöhnlich in einem Schilfbuſche auf den niedergekni>ten Blättern oder zwiſhen mehreren Büſchen auf der Oberfläche des Waſſers ſelbſt, ſeltener auf einem tro>eneren Hügelchen im Schilfe. Holzſtükchen, Bretter, Entenhäuschen und dergleichen werden gern benugt, vorausgeſeßt, daß ſie im Waſſer ſ<hwimmen. Beide Gatten bauen gemeinſchaftlih, zuweilen ſorgfältig, gewöhnlich aber liederlih. Schilfblätter, tro>ene wie friſhe, werden übereinander geſchichtet und oben ftorbartig ineinander geflo<hten. Die Mulde iſ tief napfförmig. Sobald der Bau vollendet iſt, beginnt das Weibchen zu legen. Die 7—11 Eier ſind verhältnismäßig groß, etwa 47 mm lang, 29 mm di>, feſtſchalig, feinkörnig, glatt, glanzlos und auf blaß roſtgelbem Grunde mit vielen violettgrauen und aſhblauen Punkten, zimt- und rotbraunen Pünktchen, Fle>chen und Kle>ſen beſtreut. Beide Geſchlechter brüten 20—21 Tage lang, das Männchen aber nur ſo lange, wie das Weibchen na< Nahrung ſu<ht. Mein Vater erhielt ein Neſt mit elf gepi>ten Eiern, in welchen man die Jungen ſchon piepen hörte, ließ aus Mitleid das Neſt wieder an den Ort ſegen, wo es geſtanden hatte, und das alte Weibchen nahm die Eier, obgleih ſie ihm 3 Stunden lang entzogen worden waren, doch ſofort wieder an und brütete ſie wirkli<h aus. Die ausgekrochenen Jungen bleiben ungefähr 24 Stunden im Neſte, werden dann auf das Waſſer geführt und vom Männchen freudig begrüßt.

„Eine Familie dieſer Vögel“, ſagt mein Vater, „gewährt eine angenehme Unterhaltung. Die Jungen ſ{hwimmen neben und hinter den Alten her und geben genau Achtung, wenn dieſe ein Kerbtier oder einen Wurm für ſie aufgefunden haben. Sie eilen dann herbei, um die Speiſe möglichſt {hnell in Empfang zu nehmen. Nach wenigen Tagen lernen ſie ihre Nahrung ſelbſt ſuhen und werden von den Eltern bloß noh geführt, gewarnt und geſüßt. Auf den erſten Warnungsruf hin verbergen ſie ſich augenbli>lih. Nach ein paar Wochen ſind ſie im ſtande, ſi ſelbſt zu ernähren. Dann beginnen die Alten Anſtalt zur zweiten Brut zu machen.“ Fſſt auch dieſe glü>lih entſhlüpft, ſo wird das Schauſpiel noch anziehender: „Wenn die Fungen der zweiten Brut auf dem Waſſerſpiegel erſcheinen“, ſchildert Naumann, „kommen die nun mehr als halbwüchſigen der erſten Brut herbei, zeigen ſich freundlih und zuvorkommend gegen ihre jüngeren Geſchwiſter und helfen den Alten, dieſe führen. Groß und klein, alt und jung iſt ſozuſagen ein Herz und eine Seele. Die großen Jungen teilen mit ihren Eltern die Erziehung der jüngeren Geſchwiſter, nehmen ſi dieſer Kleinen mit Liebe und Sorgfalt an, ſuchen ihnen Nahrungsmittel und bringen ſie ihnen im Schnabel oder legen ſie ihnen vor, ganz ſo, wie es die Alten ihnen früher thaten und jeßt wieder den Neugeborenen thun. Ein unvergleihli< anmutiges Bild gibt eine ſolche Doppelfamilie, wenn ſie ſih furhtlos auf einem Üeinen Waſſerſpiegel ausgebreitet hat und in voller Thätigkeit iſt. Fedes der erwachſenen Jungen iſt eifrig bemüht einem ſeiner kleinen Geſchwiſter das, was es als Nahrungsmittel aufgefunden, darzureichen, weshalb dieſe Kleinen bald einem von jenen, bald einem der Eltern nahſ{<wimmen und mit verlangendem Piepen ihre Eßluſt andeuten, gleih zufrieden, wer ſie zuerſt ſtillt. Da gewöhnlih die Anzahl der Jungen zweiter Brut kleiner iſt als die von der erſten, auh noch die Eltern bei der Pflege der Kinder keineswegs müßig ſind, o kommen nit ſelten zwei von den Jungen erſter Brut auf eins von der zweiten, deſſen