Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 3

102 Erſte Unterordnung: Eidechſen; ſechſte Familie: Schleichen.

gewiſſe Zuneigung zu ſeinem Pfleger zu gewinnen und würde, wie Erber meint, zu einem empfehlungswerten Haustiere gewonnen werden fönnen. Von anderen Schuppenecſen unterſcheidet er ſi<h ſehr zu ſeinem Vorteile dur ſeine Negſamkeit. Er iſt beſtändig in Bewegung, ſchlängelt ſih in anmutigen Windungen ohne Unterlaß durch ſeinen Käfig, züngelt und unterſucht jede Rite, jeden Spalt zwiſchen dem Geſteine und Mooſe auf das genaueſte. Läßt man ihn im Zimmer frei, ſo beginnt er ſofort ſeine Jagd auf Gezieſer aller Art, zunächſt auf die in ſo vielen Wohnungen vorhandenen, häßlichen Küchenſchaben, die er in allen ihren Schlupfwinkeln aufſpürt und ſelbſt bis in den Kamin verfolgt.

Früher als Erber hatte A. Günther das Gefangenleben des Tieres nah Beobachtungen im Schlangenhauſe des Tiergartens zu London geſchildert. „Einer der Käfige enthält Kriechtiere, die ſi<h unter allen Bewohnern des Hauſes am wohlſten befinden, da für ſie der Wärmegrad der richtige zu ſein ſcheint: vier Stü Scheltopuſiks nämlih. Sie ſind au bei weitem die gefräßigſten. Um ſie aus dem Kieſe oder dem Teppiche, unter welchem ſie gewöhnlich verborgen liegen, hervorzulo>en, iſt nur das geringſte Geräuſh am Käfige nötig. Sofort ſtre>en ſie ihre Köpfe hervor und bewegen ihre lebhaften Augen nath allen Seiten, um zu ſehen, ob die Stunde der Fütterung da iſt. Zeigt man ihnen nun irgend einen fleinen weißen Gegenſtand, den ſie aus der Ferne für eine weiße Maus, ihr gewöhnliches Futter, halten können, ſo geraten ſie ſhon in eine größere Aufregung, indem ſie teilweiſe hervorkommen und ſih gegenſeitig wegzudrängen ſuchen, wenn ſie einander im Wege ſind. Der Genuß der Fütterung wird ihnen jedo< nur einmal wöchentlih zu teil, was genügend iſt, da ſie jedesmal Unglaubliches leiſten, obgleih ih noh nie einen geſättigt ſah. Sie ſtürzen ſi<h auf die Hand des Wärters, der ein Dußend junger Mäuſe oder Vögel hält, und reißen ſie ihm heraus, bevor er Zeit hat, ſie fallen zu laſſen. Dabei ereignet es ſi, daß eine Maus von zwei Scheltopuſiks ergriffen wird: keiner läßt los, der eine reißt nah re<ts, der andere nah links, der eine erhebt ſi<h, um dann mit dem Gewichte ſeines Körpers dem anderen das Stück zu entreißen; vergebens: ſie zerren und zerren, bis die Maus in zwei Teile zerreißt und nun jeder das ſeinige mit der größten Eile verſchlingt. Beide ſind jedoch bei dieſem Streite zu kurz gekommen, da unterdeſſen die anderen raſh aufgeräumt haben. Hat aber einer ſeine Beute noh niht ganz verſ{lungen, und ragt ein Teil davon aus dem Maule hervor, ſo wird er von den übrigen verfolgt, und jener Kampf kann no< einmal beginnen, ja ſogar zwiſchen dreien geführt werden. Lange nachdem alles verſchlungen iſt, ſuhen ſie noh im Käfige herum, ob niht noh etwas übriggeblieben iſt, und rihten ſi< am Glaſe auf, um nach den Bewegungen des Wärters zu ſehen, der dur<h das Bitten der Zuſchauer oft zu einer nahträglichen Mahlzeit bewogen wird. Das Bild iſt niht unähnlih dem einer Familie junger Hunde oder Füchſe, die man für Verteilung ihres Futters ſelbſt ſorgen läßt, und hätte die Natur dem Scheltopuſik eine Stimme gegeben, ſo ginge es gewiß niht ohne ſtarkes Gekläffe ab. Sie ergreifen übrigens ihre Nahrung wie eine Eidechſe und unterwerfen ſie einem harten, kräftigen Beißen, um die Knochen zu zerbrechen, und verſhlu>en ſie ganz.“

Vorſtehendes machte mih begierig, Genaueres über den Scheltopuſik zu erfahren. Günthers Mitteilungen waren mix bis dahin entgangen; ih wandte mi<h daher an Erber mit dex Bitte, mir ſeine Beobachtungen ſreundli<hſt mitteilen zu wollen, und empfing nachſtehenden Bericht, den erſten, der uns wirklih etwas Beſtimmtes über das Freileben des Sceltopuſik mitteilt.

„Der Sheltopuſik, ſeiner geringen Scheu, Harmloſigkeit und Nüßlichkeit halber mein beſonderer Liebling, iſt ebenſo anziehend im Freien wie im Käfige. Dort kann man ihn, wenn man ihn oft beſucht, zuleßt ſo an ſih gewöhnen, daß er ſich widerſtandslos greifen läßt. Die einzige Waffe, die er dem Menſchen gegenüber in Anwendung bringt, iſt, wie