Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 3

38 Erſte Unterordnung: Eidechſen; erſte Familie: Haftzeher.

Über wenige Kriechtiere iſ ſo viel gefabelt worden wie über die Haftzeher oder Ge>onen, eigentümlich geſtaltete, nächtlich lebende Schuppenechſen, die in den wärmeren Gegenden aller Erdteile gefunden werden. Sie waren es, welche die Alten mit dem Namen „Stellio“ bezeichneten und zwar, wie Ovid uns mitteilt, wegen der kleinen, ſternförmigen Fle>en auf dem Nü>en. Ariſtoteles berichtet, daß der Stellio ſich in Fenſtern, Kammern und Gräbern aufhalte, an den Wänden umherklettere, oft auf den Tiſch herab und ins Eſſen falle, in den Krippen ſchlafe, den Eſeln in die Naſe kriehe und ſie am Freſſen verhindere, dur ſeinen Biß vergifte, während der vier kalten Monate des Jahres verborgen liege und nichts freſſe, im Früh- und Spätjahre aber ſi häute und dann die Haut aufgehre: „auß Mißgunſt“, drückt ſih Gesner aus, „damit ſolche herrlihe Arßzney für die fallende Sucht den Menſchen nit zu theyl werde, daher bey den Juriſten der Titul Stellionatus fommet, wann man einem etwas dur< Betrug und Liſt entzeuht und abnimmt. Zmgleichen ſollen ſie eine natürliche Feindſchafft wider Scorpionen haben, alſo, daß, wann ſie ihn auh nux anſchauen, hefftig erſhrö>en und die falten Schweiß ſ{<wißen. Darumb man dieſe Thier in Del beißt, welches eine bewehrte Arßney iſt denen, ſo von dem Scorpion ſind geſtochen worden.“ Plinius verſichert, daß der Geo ein jehr gefährliches Mittel liefere, indem er, im Weine ertränkt oder in Salbe getötet, bei denen, die Wein oder Salbe benußten, Sommerfle>en hervorbringe. „Manthe reichen derartige Salbe hüb[hen Mädchen in der böswilligen Abſicht, deren Schönheit zu verderben.“ Glüctlicherweiſe gibt es ein Gegenmittel: Eidotter, Honig und Laugenſalz, das die ſ{hädliche Wirkung wieder aufhebt. Nach Anſicht desſelben Naturforſchers iſt der Biß des Ge>os in Griechenland tödlih, in Sicilien dagegen ungefährlich.

Bis in die neueſte Zeit werden ähnliche Geſchichten erzählt und wieder erzählt, auch wohl heutigestags noh den Gläubigen aufgetiſht. Von einem indiſchen Haſtzeher berichtet der alte Bontius, dem wir übrigens manche gute Mitteilung verdanken, entſeßliche Dinge. „Sein Viß iſt ſo giftig, daß er in wenigen Stunden den Tod nah ih zieht, wenn der gebiſſene Teil niht ſogleih" abgehauen oder gebrannt wird. Das habe ith ſelbſt bei einem Matroſen erfahren, der zu Batavia im Krankenhauſe lag. Er bekam bloß dadur<, daß ihm eine ſolche Eidechſe über die Bruſt lief, eine Blaſe wie von ſiedendem Waſſer. Bei deren Eröffnung floß gelbe, ſtinkende Jauche aus. Das Fleiſch darunter war nußfarbig, ging auh zwei Finger di> in Brand über und fiel ab zu unſerem großen Verwundern und Entſeßen. Dieſe Eidechſe hat ſo ſcharfe Zähne, daß ſie Eindrücke in den Stahl matt. Jhr Rachen iſt rot wie ein glühender Ofen. Zum Shre>ken der Einwohner treibt ſie ſi oſt in den Schlafzimmern umher, ſo daß die Leute genötigt ſind, ihre Hütte ganz abzubrechen, damit die Tiere weiter wandern müſſen. Die Javanen vergiften mit ihrem Blute und Geifer ihre Waffen; ruchloſe Giftmiſcher, deren es hier zu Lande viele gibt, hängen ſie mit dem Schwanze auf und fangen den klebrigen und gelben Geifer, den ſie aus Zorn immer ausfließen laſſen, in einem irdenen Geſchirre auf und laſſen ihn dann an dex Sonne eintro>nen, ernähren daher auch beſtändig ſolche ſheußlihe Tiere. Selbſt ihr Harn zieht Blaſen.“ Haſſelquiſt behauptet, daß ein in Ägypten lebender Haſtzeher Gift aus den Furchen der Zehenſcheiben aus\hwiße, verſichert auch, zwei Weiber und ein Mädchen geſehen zu haben, die von einer ſolchen Schuppenechſe vergifteten Käſe gegeſſen hatten und dem Tode nahe waren. Ein Geiſtlicher, der das böſe Tier fangen wollte, bekam beim Verühren Blaſen, die brannten, als ob er Neſſeln angegriffen hätte. Wer von der Speiſe ißt, über welche ein ſolches Tier gelaufen, wird ausſäßig 2c. Ähnliche Märchen läßt ih Pöppig in Peru mitteilen. Ein dort vorkommender Geo ſoll ebenfalls ſo ſehr giftig ſein, daß ſchon ſeine Berührung gefährlich iſt. Das Gift ſißt auf den Zehenflächen, und ſeine Wirkung iſt zwar nicht ſo ſchnell, allein unfehlbar ebenſo tödlich wie die des Schlangengiſtes.