Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 3

Winterſchlaf. Fortpflanzung. Feinde. Giftigkeit. Nugtbarkeit. 37

Gymnophthalmns, deſſen neuer Shwanz die Beſchuppung einer Cercosaura-ähnlicen Teju-Eidechſe, etwa wie von Veterodactylus, annimmt. Umgekehrt bietet der friſh nachgewachſene Schwanz eines mit gekielten Wirtelſhuppen bede>ten Scheltopuſik die Schindelbeſhuppung etwa einer Blindſchleiche. Unſer Gewährsmann macht mit Recht darauf aufmerkſam, daß dieſe Neubildungen als Rüſchläge in Bildungen ihrer Vorfahren aufzufaſſen ſind, und daß ſie niht bloß einen ſicheren Schluß auf die wiſſenſchaftliche Stellung ſchwieriger Gattungen und Formen in der Kriechtierreihe ziehen laſſen, ſondern auh den Lauf der Entwielung dieſer Gattungen aufs ſchärfſte anzeigen. Noch merkwürdiger iſt aber vielleiht die von R. Lydekker erbrahte Thatſache, daß dieſes Geſet bereits in der Vorzeit Geltung hatte, indem er einen tertiären Urſcheltopuſik (Ophisanurus) fand, der ſchon in jener alten Zeit bei der Neubildung ſeines Shwanzes ein der Art ſonſt fremdes Schuppengeſeß angewendet hatte.

Die Eidechſen haben mehr als alle übrigen Kriehtiere von Feinden zu leiden. Ein wahres Heer von Raubtieren ſtellt ihnen na< und bedroht ſie in allen Zuſtänden ihres Lebens. Die großen Arten ſind, dank ihrer Stärke und des mit ihr ſih paarenden Mutes, ziemlih geſihert vor den Angriffen anderer Tiere, die fleinen aber fallen S<hleichkaßen, Mardern und Stinktieren, Geiern, Adlern, Falken und Buſſarden, Eulen, Raben, Hühnern, Sumpf- und Waſſervögeln, Schlangen ſowie endlih den Stärkeren ihrer Art zur Beute, ſo daß man ſi eigentlih wundern muß, wie ſie ſo vielen Nachſtellungen entgehen können. Au der Menſch geſellt ſih hier und da zu den Gegnern und Verfolgern der harmloſen Geſchöpfe, oft nur aus reinem Übermute, rohe Luſt zum Totſchlagen bethätigend. Einige werden mit Unrecht für giftig gehalten, andere als Schlangen angeſehen und müſſen dann unter den Folgen des allgemeinen Widerwillens gegen das „kriehende Gewürm“ leiden. Das eine iſt ſo unrichtig wie das andere. Giſtig iſt nur eine einzige Cidechſe, das Gilatier Nordamerikas, und auch dieſe für den Menſchen nur in beſchränktem Maße. Wirklich ins Gewicht fallenden Nuten bringen die Eidehſen nun zwar nicht: aber ſie verurſachen ouh feinen Schaden. Das Fleiſch von einigen großen Arten der Ordnung wird gegeſſen und ſelbſt von Europäern als wohlſ<hme>end befunden, andere erfreuen durch ihre zierliche Behendigkeit im Freien, dur ihre Anmut und Harmloſigkeit im Käfige, und die Mehrzahl nährt ſi< zudem von Tieren, die uns unangenehm ſind; wenige werden uns läſtig durch Raubgelüſte, die unſerem Hofgeflügel und deſſen Eiern gelten, andere erſhre>ten {wache Gemüter dur ihre Shlangenähnlichkeit und ihr verdächtiges Raſcheln im Laube: hiermit iſt der Nugen wie der Schade, den man ihnen zuſprechen oder nachſagen kann, angegeben. Eine wirkliche Bedeutung für uns haben ſie niht; aber ſie thun eigentlih auh nichts, was ihnen Verfolgung unſerſeits zuziehen ſollte.

Die außerordentliche Reichhaltigkeit der Ordnung verwehrt in jedem volkstümlichen Werke genaueres Eingehen auf den unendlichen Geſtalten- und Artenreichtum der Schuppene<ſen. Jh werde daher auf den nachfolgenden Seiten nur die wichtigſten Vertreter der Geſamtheit beſprechen können und ſelbſt einzelne Familien überſpringen müſſen, weil über das Thun und Treiben ihrer Zugehörigen Beobachtungen bis jezt noh niht geſammelt oder veröffentlicht worden ſind. Für denjenigen, welcher niht an einem der erſten Muſeen wirkt und über das ganze naturwiſſenſchaftlihe Schrifttum frei verfügen kann, iſt es ſehr ſchwierig, ſi< in dem heutigestags noh herrſchenden Wirrwarr der Namen und Beſchreibungen zurechtzufinden; wer aber erſt verſuht, das Leben der Kriechtiere kennen zu lernen und anderen zu ſchildern, ſieht ſi< nur zu oft gänzlich verlaſſen und infolgedeſſen ratlos. Engſte Beſchränkung der für eine allgemeine Schilderung dieſer Tierordnung auszuwählenden Arten iſt daher zwingende Notwendigkeit.