Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 3

72 Erſte Unterordnung: Cidechſen; vierte Familie: Leguane.

Jn Waldungen, Hainen und Gärten aller wärmeren Gegenden Amerikas lebt ein zahlreiches Geſhle<t allerliebſter Shuppenechſen, denen man ihren auf den Antillen üblichen Namen Anolis (Anolis) belaſſen hat. Die Merkmale dieſer Gattung ſind der pyramidenförmige Kopf, der mittellange Hals, deſſen Kehle beim Männchen dur eine weite, meiſt prachtvoll gefärbte Wamme geziert wird, der ſ{<lanke Leib die vier wohlentwi>elten Beine, deren hinteres Paar das vordere an Länge übertrifft, die großen Füße mit fünf ſehr ungleich langen Zehen, deren mittlere Glieder erweitert und an der Sohle blätterig quergeſtreift ſind, die ungemein langen, gekrümmten, ſcharfſpißigen Krallen, der beſonders lange, zarte Schwanz und die aus ſehr kleinen Schildchen beſtehende Beſhuppung, die ſi auf dem Rücken und dem Schwanze niht ſelten zu einem Kamme umgeſtaltet, ſowie endlih das Gebiß, das vorn am Kiefer einfache, ſpißige, leiht gekrümmte und kegelige, weiter hinten dagegen zuſammengedrüdte, an der Spige dreiza>ige Zähne aufweiſt und jederſeits dur< eine Reihe Éleiner, ſpißkegeliger Flügelbeinzähne unterſtüßt wird. Die Haut prangt in prahtvollen Farben und beſit in weit höherem Grade als die des allbekannten Chamäleons die Fähigkeit, ihre Färbung zu verändern.

Jeder wiſſenſchaftlihhe Reiſende, welcher einen Teil Süd- oder Mittelamerikas durchforſcht, ma<ht uns mit no< unbeſchriebenen Mitgliedern dieſer in mehr als 100 Arten faſt im geſamten Verbreitungsgebiete der Familie vorkommenden Gruppe bekannt. Anolis leben überall, in jedem Walde, in jedem Haine, in jeder Baumanlage, verlaſſen au< wohl die Bäume und erſcheinen auf und in den Häuſern, in Vorhallen und ſelbſt in den Zimmern, können daher höchſtens in dichten Waldungen überſehen werden. Während in den tiefen Urwäldern nur der Zufall das Auge zuweilen nach der Stelle richtet, auf welcher ein ſoles Tier ſtill und unbewegli<h auf einem Zweige ſißt, drängen ſi< die Anolis in der Nähe bewohnter Örtlichkeiten ſozuſagen dem Menſchen förmlich auf und rechtfertigen den Ausſpruh Nicolſons, daß ſie gleichſam auf alles ahtgeben, was geſprochen wird. Überaus lebhaft, gewandt, hurtig und geſchi>t betreiben ſie ihre Jagd auf Kerbtiere der verſchiedenſten Art, nehmen hier eine Müde, einen Schmetterling, einen Käfer weg, unterſuchen dort eine Rige, ein Verſte> um ſi< einer Spinne zu bemächtigen, lauern nah Art eines Raubtieres und ſtürzen ſi<h, wie eine Kate auf die Maus, mit blißſ<hneller Geſchwindigkeit auf ihre Beute, ſie faſt mit unfehlbarer Sicherheit ergreifend. Den ganzen Tag über ſind ſie ununterbrochen in Bewegung und leben mit ihresgleichen in beſtändigem Kriege. „Sobald ein Anolis“, erzählt Nicolſon, „den anderen bemerkt, läuft er hurtig auf ihn zu, und dieſer erwartet ihn wie ein tapferer Held. Vor dem Kampfe drehen ſie ſih gegenſeitig faſt na< Art der Hähne, indem ſie den Kopf ſchnell und heftig auf und ab bewegen, die Kehle aufblähen, ſoweit ſie es vermögen, und ſich funkelnde Bli>ke zuwerfen; hierauf gehen ſie wütend gegeneinander los, und jeder ſucht den anderen zu überrumpeln. Wenn beide Gegner glei ſtark ſind, endet der Kampf, der meiſt auf den Bäumen au8gefohten wird, nicht ſo bald. Andere Anolis, wohl die Weibchen, nähern ſih, um zuzuſchauen, miſchen ſih aber nicht ein, als ob ſie Vergnügen an dem Streite fänden; beide Kämpen verbeißen ſih oft dermaßen, daß ſie ſih lange Zeit gegenſeitig hin und her zerren und ſ{ließlih mit blutigem Maule weggehen. Trobdem beginnen ſie ihren Streit bald von neuem wieder. Ein ſ{hwächerer Gegner kommt günſtigen Falles mit dem abgebiſſenen Shwanze davon; im ungünſtigen Falle wird er getötet. Wenn ſie den Schwanz verloren haben, ſind ſie traurig und fur<tſam, halten ſi< au< faſt immer verborgen. Wahrſcheinlih geſchehen ihre Kämpfe der Weibchen wegen; ſie ſind wenigſtens während der Paarungszeit lebhafter als je und ſpringen dann raſtlos von Zweig zu Zweig. Das Weibchen gräbt mit ſeinen Vordexfüßen unter einem Baume oder in der Nähe einer Mauer ein ſeichtes Loch, legt in dieſes ſeine hmußig weißen Eier und de>t ſie zu, die Zeitigung der Sonne überlaſſend.“