Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 4

208 Dritte Ordnung: Weichfloſſer; erſte u. zweite Familie: Wolfsfiſche u. Shellfiſche.

wo nur Torf die Felſen de>t, und wo dem undankbaren Boden kaum ſo viel Raum ab: gewonnen werden konnte, wie ihn ein kleines Gärtchen beanſprucht.

Das ſcheinbare Nätſ el löſt ſih, wenn man erfährt, daß hier niht das Land, fondern das Meer der Aer iſt, der gepflügt wird, daß man niht im Sommer ſäet IO erntet, ſondern inmitten des Winters, gerade in den Monaten, in denen die lange Nacht unbeſtritten ihre Herrſchaft ausübt und anſtatt der Sonne nur der Mond leuchtet, anſtatt des Morgen- oder Abendrotes nur das Nordlicht erglüht. Zwiſchen jenen Jnſeln liegen die geſegnetſten Fiſchgründe Skandinaviens; jene Gehöfte bilden die Scheuern, wo die eingeheimſte Ernte des Meeres geborgen wird.

Während des Hochſommers iſt das Land hier menſchenleer; während des Winters wimmeln die Fnſeln und das Meer von Schiffen und Booten und geſchäftigen Männern. Jm Sommer ſchauen Millionen Vogelaugen von den Gehängen hinab auf das Waſſer, im Winter regen ſih arbeitſame Menſchenhände, wenigſtens am unteren Ende derſelben Gehänge, Tag und Nacht. Von der ganzen Küſte her ſtrömt um die Weihnachtszeit die Fiſhherbevölkerung hier zuſammen, und fo geräumig auch die Gehöfte, ſie vermögen die Anzahl der Gäſte nicht zu faſſen. Ein guter Teil der Leute muß auf den Schiffen oder in kleinen, roh zuſammengeſchichteten Hütten auf dem Lande hauſen, obgleih immer nur eine gewiſſe Abteilung der Männer ſi in der Herberge überhaupt aufhält, die Hauptmaſſe hingegen ſi< auf dem Meere befindet, um zu fiſchen.

Monatelang währt das rege Getriebe, monatelang ein ununterbrochener Markt. Mit den Fiſchern ſind Aufkäufer und Händler erſchienen; denn die Schiffe, dazu beſtimmt, die Meeresernte wegzuführen, haben die Erzeugniſſe des Südens gebra<ht. Der Bewohner der Lofoten tauſcht ſih jet gegen die Schäße des Meeres die des ſüdlichen Landes ein; der hier angeſiedelte Kaufmann verſorgt ſih für das übrige Fahr. Erſt wenn die Sonne am ſüdlichen Himmel ſih wiederum zeigt und damit den Frühling bringt auch über dieſes Land, wird es ſtiller. Beladen vom Kiele bis zum Deke, hebt eins der Schiffe nah dem anderen den Anker, heißt die Segel und ſteuert ſüdwärts; und wenn die Meervögel einziehen auf den Bergen, haben die Menſchen deren Fuß geräumt.

Um dieſelbe Zeit beginnt faſt genau dasſelbe Leben auf der entgegengeſeßten Seite des Meeres, an der Bank von Neufundland, nur mit dem Unterſchiede, daß ſih hier alle Fiſcherei treibenden Völker des Nordens ein Stelldichein geben, während zwiſchen den Lofoten ſih hauptſächli<h Skandinavier verſammeln. Von Großbritannien, Frankreih, Belgien, Holland, Nordamerika 2c. ſteuern alljährlih viele tauſend Fahrzeuge nah der Bank von Neufundland und auf ihnen an Fiſchern ein Heer, das weit über 100,000 Mann zählt.

Und derſelbe Zweck, der die Fiſcher in der Nähe der Lofoten oder der Bank von Neufundland zuſammenführt, wird, zur gleichen Zeit mit beſonderem Eifer, aber ſonſt auch in den übrigen Monaten des Jahres, verfolgt an der Weſtküſte Frankreichs, an der belgiſchen und holländiſchen Küſte, an der von Deutſchland und Jütland, in den britiſhen Meeren und auf der im Nordatlantiſchen Meere, weſtlih von den Hebriden, um den Roall-Felſen gelegenen Bank. Überall, wo Ausſicht auf Gewinn ſi zeigt, bald hier bald dort mit mehr oder weniger Nußen mühen ſich die mannigfaltigen Gefahren und Entbehrungen ausgeſebten wetterharten Menſchen eines einzigen Fiſches halber.

Dieſer Fiſh iſt der Kabeljau, iner der wichtigſten Seefiſche der Erde, dem man ſeit mehr als 3 Jahrhunderten unabläſſig nachgeſtellt hat, wegen deſſen blutige Kriege geführt worden ſind, von dem in jedem Jahre mehrere hundert Millionen Stü gefangen werden, und der dennoch dieſem- Vernichtungskriege Troß geboten hat, weil ſeine unglaublihe Fruchtbarkeit die von dem Menſchen ſeinen unſhäßgbaren Heeren beigebrachten Lücken, bisher wenigſtens, immer wieder ausfüllte.