Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 5

64 Erſte Ordnung: Käfer; ſiebente Familie: Pſelaphiden.

Blicken ein ebenſo ſeltſames wie unerwartetes Schauſpiel dar. Jh nahm deutli wahr, wie der Keulenkäfer aus dem Munde der Ameiſe gefüttert wurde. Kaum konnte ih mich von der Wirklichkeit des Geſchehenen überzeugen und fing ſhon wieder an zu zweifeln, ob ih auh ret geſehen haben möchte, als ſi< unmittelbar an drei, vier und mehr Stellen dieſelbe Beobachtung beſlätigte. Einige dieſer Fütterungen wurden unmittelbar an der Wand des Fläſhchens vorgenommen, ſo daß ih durch eine viel ſtärker vergrößernde Linſe den ganzen Hergang aufs deutlihſte beobahten konnte. Jedesmal, wenn eine geſättigte Ameiſe einem no< hungernden Käfer begegnete, lenkte dieſer, gerade als wenn er, die Speiſe witternd, Futter von ihr begehrte, Kopf und Fühler aufwärts, nah dem Munde jener hin, und nun blieben ſie beide ſtill ſtehen. Nach vorhergegangenem gegenſeitigen Berühren und Streicheln mit den Fühlern, Kopf gegen Kopf gewendet, öffnete der Käfer den Mund, ein gleiches that die Ameiſe und gab aus ihren weit hervorgeſtre>ten inneren Mundteilen jenem von der ſoeben genoſſenen Nahrung, welche er gierig einſog. Beide reinigten al2dann ihre inneren Mundteile dur< wiederholtes Ausſtre>en und Einziehen derſelben und ſeßten ihren begonnenen Weg weiter fort. Eine ſolche Fütterung dauerte gewöhnli<h 8—12 Sekunden, na<h welcher Zeit die Ameiſe in der Regel die Haarbüſchel des Käfers auf die oben angegebene Weiſe abzule>en pflegte. Auf dieſe Art wurden alle in meinem Gläschen befindlihen Keulenkäfer jeden Tag mehrere Male, ſo oft ih ihnen friſhes Futter und Waſſer gab, welches leßtere den Ameiſen eins der wichtigſten Bedürfniſſe iſt, regelmäßig gefüttert, und nie ſah ih einen Käfer etwas von der in dem Fläſchchen befindlihen Nahrung: Honig, Zucker und Obſt, anrühren, auëgenommen, daß ſie zuzeiten die an der inneren Wand des Glaſes niedergeſ<hlagenen Waſſerdünſte able>ten.

„So groß auch immer die Liebe und Fürſorge der Ameiſen gegen ihre Brut iſt, gegen die Keulenkäfer ſcheint ihre Zärtlichkeit niht minder groß zu ſein. Es iſt in der That rührend, zu ſehen, wie ſie dieſelben au< dann, wenn feine Nahrung in ihren Haarbüſchelu vorhanden iſt, öfter im Vorbeilaufen mit den Fühlern ſtreicheln; wie ſie mit immer gleicher Zärtlichkeit und Bereitwilligkeit jeden ihnen begegnenden hungerigen füttern, noh ehe ſie ihre Brut verſorgt haben; wie ſie dieſelben geduldig über ſich hinlaufen laſſen, man<hmal ſogar mit ihnen ſpielen, indem ſie den einen oder den anderen, der ihnen begegnet, mit ihren Zangen auf dem NRüen faſſen, eine gute Stre>e forttragen und dann niederſeßen. Anderſeits iſt das zutrauliche Weſen der Käfer gegen die Ameiſen niht minder bewundern3würdig. Man glaubt niht verſchiedene Jnſektengattungen, ſondern Glieder ein und derſelben Familie vor ſi<h zu ſehen, oder eigentlih in den Keulenkäfern die Kinder zu erbli>en, die ſorglos und zutraulih in den Wohnungen der Eltern leben, von ihnen Nahrung und Pflege erhalten und ſie ohne Umſtände dann allemal darum anſprechen, wenn das Bedürfnis ſie dazu treibt, auh ihnen Gegendienſte zu leiſten verſuchen, ſoweit ſie es vermögen. So ſah ih beiſpiel8weiſe, daß ein Keulenkäfer eine ſtillſißende, ruhende, gleihſam ſ{<lafende Ameiſe reinigte, indem er bald von den Seiten her, bald auf ihr ſißend, mit ſeinem Munde ihr den Rücken und Hinterleib abbürſtete und beinahe eine halbe Viertelſtunte mit dieſem Geſchäfte zubrachte.“

Jntereſſant iſt auh noh die Beobachtung, daß eine zweite Art derſelben Käfergattung, welche bei einer anderen Ameiſenart genau in derſelben Weiſe lebt, von den gelben Ameiſen ebenſo behandelt wird, wie die ihnen eigentümliche Art, obgleich die Ameiſen ſelbſt ſi< bekriegen. Beim Einſammeln beider Arten wurden nämlih aus Verſehen Käfer und 6—8 dazu gehörige Ameiſen jener Art zu den hier beſprochenen gethan. Sofort fielen die gelben Ameiſen über die fremden her, töteten ſie nah und nah, ver\chonten aber ihre Keulenkäfer und fütterten ſie gleih den ihrigen. Mehrere ſpäterhin abſihtli< vorgenommene Verſezungen der beiden Arten (Claviger foveolatus und