Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 5

Überwinterung. Käfer in Waſſersnot. 33

vordringen und von Stunde zu Stunde immer tiefer in das Land einfreſſen. Faßt man dieſe allmählih ſi< vorſchiebende Grenze zwiſchen der Wieſe und dem Waſſer in das Auge, ſo wird man ein ſehr bedrängtes, darum ungemein reges und dabei vollkommen lautloſes Leben gewahr. An einem Grasſtengel eilt ein Laufkäfer empor, ihm folgt ein rotes Sonnenkälbchen, und eine ſ<hwerfälligere Chryſomele bildet die Nachhut auf der Flucht; glei daneben klimmt ein ſ{hwarzer Läufer in die Höhe, aber ah! das ſhwache Blatt biegt ſich unter ſeiner Laſt, und das Waſſer beſpült ihn. Er verliert die Beſinnung niht, hält feſt no den Halm, der ihn retten ſoll, und kehrt um, nach oben. Vergeblich, er iſt zu ſchwer, er zieht ſein Blatt mit ſih hinunter und verſinkt. Nun läßt er los; ängſtlich zappelnd rudert er im ungewohnten Elemente, aber er hält ſih oben und kommt vorwärts. Der ſtarke Stengel eines Doldengewächſes iſt glü>li<h erreicht, er hat no< Kraſt genug, ein Stü in die Höhe zu kommen. Da trifft er einen Blattkäfer, eilt in Haſt über ihn fort; dieſer iſt erſchre>t, läßt ſi fallen und befindet ſih in gleicher Lage wie ſoeben noh jener, der ſich endlih ermattet hinſeßt, die Fühler dur<h die Freßzangen zieht, mit den Vorderbeinen ſi< putt und — weiterer Gefahr entgangen zu ſein ſcheint. Da kommt ein anderer geſhwommen, hier wieder einer, jeder in ſeiner Weiſe, die ihm die Not eben lehrt. Da ein dritter, es iſt ein geſtre>ter, ſhön kupferglänzender, der viel am Waſſer verkehrt. Wie erſtarrt ſtre>t dieſer Schilfkäfer ſeine ſe<3 Beine von ſih, die Fühler gerade vor und läßt fi<h vom Waſſer forttreiben, anſcheinend vollkommen in ſein Schi>ſal ergeben. -Die Fühler ſtoßen an etwas, mechaniſch gehen ſie auseinander und gleiten mit ihren Fnnenflächen an jenem Etwas entlang. Der günſtige Umſtand wird benußt, die Beine zeigen Leben, und gemächli<h ſehen wir unſeren Shwimmer an einem Grashälmchen herankriechen, als wäre ihm ni<hts widerfahren. Hier am Rande ſißen gedrängt aneinander auf einem Blatte, rote und ſhwarze, grüne und blaue Käfer und ſcheinen zu beraten, was zu thun ſei, um der Gefahr zu entrinnen; denn aufgerichtet ſind ihre Vorderteile und die Fühler in ſteter Bewegung. Ein paar grüngläſerne Augen ſtierten von der Seite her längſt ſhon na ihnen. Schwapp! und ſie befinden ſi< bereits auf dem Wege nah einem Froſhmagen; was niht erſ<hnappt ward, zappelt ratlos in allerlei Stellung im Waſſer. Ein Weidenbüſ<h<en von wenigen Ruten ragt weit über die bena<hbarten Gräſer und Kräuter hervor eine mächtige Shußwehr für ſeine urſprünglichen Bewohner, ein ſicherer Hafen für manchen Schiffbrüchigen. Darum iſt es aber auch belebt von jeglihem Volke. Ruhig kneift der ſ<lanke S<hnellkäfer in die jungen Johannistriebe oder neben ihm der unterſeßte, breitſ<hulterige Weber (Lamia textor). Ein grüner Rüßler mit ſ{<wefelgelbem Saume der Flügeldeœen (Chlorophanus viridis), fein Männchen auf dem Rücken, marſchiert eben etwas höher hinauf, weil es da unten zu feucht ward. Sie alle ſaßen und fraßen und koſten hier, ehe die Flut kam, und werden das Geſchäft fortſezen, wenn jene ſih verlaufen hat; ſie wohnen hier, ziehen allenfalls ein Sto>werk höher, wenn es not thut, und halten gute Nachbarſchaft mit no< manchen anderen, grünen oder blauen, hüpfenden oder nur friehenden Blattkäferlein. Unſer Bild „Die Käfer in Waſſersnot“ ſoll einen ſ{hwachen Begriff von einem Akte dieſes Dramas geben, welchem ſi<h noh andere vor unſeren Blicken abſpielen, wenn wir nur die re<te Stelle gefunden haben, wie etwa eine freie Waſſerfläche, welche die kahlen, no< hervorragenden Ränder einer kleinen Bucht beſpült. Hier iſt die Hilfloſigkeit entſchieden noh größer und an ein Flüchten auf das Trockene, und wäre es nur für wenige Augenbli>e, niht zu denken. Das Waſſer treibt Blätter, Schilf, Holz, Baumrinde und anderes in größeren oder kleineren Bruchſtücken in Menge an, Korkpfropfen, Pflanzenſamen 2c., alle rei<h belebt von unfreiwilligen Shwimmern. Da kommt auf einem Schilfſtückchen ein kleiner Miſtbewohner (Aphodius) angeſegelt, der gewiß {hon eine tüchtige Waſſerreiſe auf dieſem gebre<lichen Fahrzeuge zurückgelegt hat; E läßt ſich

Brehm, Tierleben. 8. Auflage IX.