Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 6

P32 Würmer. Vierte Klaſſe: Ningelwürmer; erſte Unterklaſſe: Borſtenwürmer.

Gänge im Sande und Schlamm werden mit dem Rüſſel gebohrt. Durch Zuſammenziehung des Leibes preßt der Wurm die blutartige Leibesflüſſigkeit nah vorn und ſtößt damit den Nüſſel gewaltſam hervor. Derſelbe dringt ſo lang, wie er iſt, in den Boden, und da er in der Regel beim Hervorſtre>en di>er wird als das Tier, rüct dieſes beim Zurück: ziehen leicht vor. Dieſes Manöver kann ſehr ſchnell wiederholt werden, und ſo gräbt ſich ein mehrere Zentimeter langer Wurm binnen Sekunden und Minuten ein. Bei der Mehrzahl der auf ſolche Weiſe minierenden Arten wird gar niht für den Beſtand der Röhren geſorgt, einige Nereiden und andere kleiden dieſelben aber mit einem dünnen, vom Körper abgeſonderten Überzuge aus, der im weſentlichen ſich wie die Nöhren der Sabellen und Chätopteren verhält. So verſchiedenartig alle dieſe wahren Röhren, von den ſ<hleimigen und gallertigen einzelner Sabellen bis zu den äußerſt harten der Serpulen, ſind, in allen Fällen entſtehen ſie durh Ausſchwitungen der Tiere. Nie aber beſteht eine ſolche innige Verbindung zwiſchen dem Tiere und der Röhre wie etwa zwiſchen dem Schne>engehäuſe und der Schne>e oder der Muſchelſchale und der Muſchel, welche leßteren mit den von ihnen abgeſonderten feſten Wohnungen verwachſen ſind. Eine Nereis (Nereis fucata) hat fich dem Bernhardkrebs (Pagurus Prideauxii) angeſchloſſen und lebt friedlich neben ihm in ſeiner Schhne>enſchale, vielleiht von ſeinem Kot ſi< ernährend und ihm ſo dienſtlih werdend. Die auf vielen direkten Beobachtungen beruhende Einteilung der bisher betrachteten Ningelwürmer in Fleiſchfreſſer (Rapaces) und Sc<hlammſfreſſer (Limiyora) ſcheint, ſobald man damit zugleich die Abteilungen der Rükenkiemer und der Kopfkiemer bezeichnen will, doh nicht allgemein zu paſſen. Es gibt vielmehr auh pflanzenfreſſende Rüenfiemer und fleiſ<hfreſſende Kopfkiemer, wenn auh lebtere ſich mit fleinerer, in den Berei) ihrer Mundwerkzeuge kommender Beute begnügen. Zhr Nuten für den Menſchen beſchränkt ſich auf die Verwendung als Köder, und eine Form (Nereis guccinea) wird indireft dadur nüßlih, daß ſie eine der erbittertſten Feindinnen des Pfahlwurmes iſt, welchen ſie in ſeinen Bohrgängen aufſucht und frißt. Den einen oder den anderen zu verſpeiſen, daz zu haben es ſelbſt die ſonſt niht heikligen Chineſen niht gebracht, nur die Fidſchi- und Samoa-Jnſulaner haben, wie wir ſahen, einen Ringelwurm auf ihrem Küchenzettel. Was man von ihrer Lebensweiſe aus der Beobachtung unſerer Tiere im freien Zuſtande erfahren, läßt ſi< aus ihrem Benehmen in der Gefangenſchaft in größeren und feineren Aquarien ergänzen. Man kann die verſchiedenartigſten Spezies in engen Gefäßen beiſammen halten, ohne daß ſie einander anfallen und ſi gegenſeitig aufzehren. Die meiſten empfinden offenbar das helle Tageslicht, beſonders die direkte Sonne, ſehr unangenehm. Die frei lebenden ſuchen emſig nah einem Verſte>, die Röhrenwürmer halten ſich fo lange wie möglich in ihrer Behauſung zurü>gezogen. Nur erſt, wenn in den kleineren Gefäßen, in denen man ſie für das Studium aufbewahrt, eine dem Geruchsorgan ſehr bemerflihe Zerſeßung beginnt, ſuchen ſie, wie oben bemerkt, um jeden Preis in behaglihere Umgebung zu flüchten, und dann verlaſſen ſelbſt ſolche Röhrenwürmer, wie Serpula, ihr Haus, welche an ihrem natürlichen Aufenthaltsort nie daran denken. Jhr unruhiges, ſcheues Benehmen im direften Lichte würde zwar allein niht ausreichen, die Mehrzahl der Seeringelwürmer für nächtliche Tiere zu halten, allein die Wahl ihres Aufenthaltes macht dies wahrſcheinlich.

Die Natux- und Lebensgeſchihte der meiſten niederen Tiere, ſo auch die der borſtentragenden Seewürmer, bleibt ohne Kenntnis ihrer Entwickelung eine ſehr unvollkommene. Bei den See-Borſtenwürmern ſind die Geſchle<hter getrennt, und in den meiſten beobachteten Fällen wird das geſamte Ei mit der Eihaut allſeitig zum Jungen umgewandelt.

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