Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 6, page 630

572 Hohltiere. Zweiter Unterkreis: Neſſeltiere; zweite Klaſſe: Blumenpolypen.

Zweite Klaſſe. Die Blumenpolypen (Anth0o20a).

Nehmen die Quallen unſer äſthetiſches Jntereſſe in Anſpru<h und beſchäftigen die verſchlungenen Wege ihrer Entwickelung den ernſteren Forſcher, ſo iſt das Heer der Polypen, in den Grundzügen des Baues jenen eng angereiht, die Phantaſie weit mächtiger zu erregen geeignet und uns in Staunen zu verſeßen über die ungeheure Macht des Kleinen, wo es den Wahlſpruch verkörpert: Yiribus unitis — Mit vereinten Kräften!

Eine liebliche Augenweide, kommen und gehen die Quallen mit den Wellen und Strömungen. Nach kurzem, wohl ſelten über ein Fahr währendem Leben löſen ſie ſi<h zum allgemeinen Kreislaufe der Atome wieder auf, dem Auge keine andere Spur hinterlaſſend als die zahlreiche heranwachſende Brut. Auch unter den Polypen finden wir Sippen, deren Genrationen hinſhwinden, gleih jenen. Aber um ſo zahlreicher ſind die anderen, welche ſich von den erſten Zeiten ihres Auftretens durch alle Perioden der Bildung der Erdrinde hindur< Denkmäler aufgebaut haben, gegen die alle von Menſchenhand zuſammengetragenen Pyramiden in nichts verſhwinden. Fhre Bauten machen einen großen Teil des Feſtlandes aus. Jndem ihre Lebensthätigkeit von den gewaltigen, im Erdinneren ſich entwi>elnden Kräften beeinflußt wird, die ſich uns als Hebungen und Senkungen an der Oberfläche bemerfklih machen, ſteigen Riffe und Koralleninſeln hier empor, dort tauchen ſie unter. Wo die Korallentiere, dieſe wichtigſten Mitglieder der Polypenklaſſe, ſi anſiedeln, folgt eine Reihe von Wirkungen, welche faſt alles an Großartigkeit des Aufbaues und Schaffens hinter ſich laſſen, was ſonſt von tieriſchem Leben verurſaht wird. Verſhwindend klein in den Anfängen, nur dem Mikroſkop ſi< erſhließend, wird die Niederlaſſung bald der Anziehungspunkt unendli<h mannigfaltigen Lebens, bis der Menſch von dem neugeſchaffenen Boden Beſiß nimmt.

So greift das Leben der Polypen in das Völkerleben ein, das Unbewußte in das Bewußtſein; Grund genug, um dieſe Tiere einer eingehenden Unterſuchung und Schilderung zu unterziehen.

Faſt zwei Jahrtauſende hat es bedurft, ehe man ſi< von der Zuſammengehörigkeit der eigentlichen Korallentiere mit den großen, ſchon dem Ariſtoteles und ſeinen Zeitgenoſſen als Tiere bekannten Seeanemonen oder Aktinien überzeugte. Griechen und Römer ſahen, wie uns Ovid berichtet, in den Korallentieren Blumen, welche im Augenbli>e, wo man ſie aus dem Waſſer nimmt, verſteinern, ſeit Perſeus das Haupt der getöteten Gorgo Meduſa, deren Anbli> in Stein verwandelte, auf ihnen gelagert. Fn ſeinen „Verwandlungen“ heißt es:

«Sic et Curalium, quo primum contigit auras

Tempore, durescit: mollis fuit herba sub undis.“

(„So auch wird die Koralle, ſobald ſie die Lüſte berühret, Plötlich zu Stein, ein weiches Gewächs noh eben im Waſſer.“)

Wie wenig ſi die Anſicht, daß man es mit Seepflanzen, auch ſteinernen Väumen (Lithodendra), zu thun habe, bis 1630 geändert, geht aus einer Reiſebeſchreibung aus jenem Jahre von Monconny hervor. Die bezügliche Stelle iſt von Ehrenberg in ſeiner bekannten grundlegenden Arbeit über die Natur und Bildung der Korallenbänke des Roten Meeres (1832) mitgeteilt und lautet: „Nach der Mahlzeit fiſchten wir die Art von oben beſchriebenen verſteinerten Pilzlingen, Muſcheln und allerhand Bäumchen in dem Roten Meere, die man da an langen Orten in Menge findet, weil das Meer daſelbſt ſo ſeichte