Der Gottesbegriff meister Eckharts : ein beitrag zur bestimmung der methode der Eskhartinterpretation

natürlich ist: dem Intellekt. Gnade und Intellekt sind also wesensgleich. Somit wird dem Intellekt nichts ihm Transcendentes, Heterogenes, sondern ein ihm Homogenes mitgeteilt, und die Seele wird durch die Gnade im eigentlichen Sinn nicht erst zu Gott erhoben, da sie ja schon im Bereich Gottes steht“). Gleichwohl, so sagt Eckhart an anderer Stelle, ist die Gnade dadurch nicht außer Funktion gesetzt, sie hat auch jetzt noch eine notwendige Aufgabe”); zwar nicht die, die sie in der scholastischen Theologie hatte, nämlich den Menschen überhaupt erst wesenhaft zu Gott zu erheben, denn der Mensch ist schon wesensmäßig eins mit Gott, sondern nur das in der Mannisfaltigkeit des Kreatürlichen zerstreute Ich zur Einheit, zu seinem eigenen Wesen zurückzuführen. Die Gnade wirkt also kein neues Wesen, sondern sie weckt und erfüllt nur das vorhandene, sie bringt nur zur Erscheinung, was schon da ist“*). So ist auch die Wendung zu verstehen, die Gnade einige die Seele nicht mit Gott, denn die Wesenseinheit wird schon vorausgesetzt").

Aus dieser sekundären Siellung der Gnade läßt sich ein anderer sehr wichtiger Gedanke verstehen, der sie vollends aus der Korrelation Gott — Ich ausschließt: daß nämlich die Gnade Kreatur sei: „der mensche mit gote ein ze sinne da behoeret gnäde niht zuo, wan gnäde ist ein ereätüre unde däenhät kein creätüre ze tuonne” (Pf. 94: 506, 21)*). Die Bestimmung der Gnade als Kreatur würde gegenüber ihrer anderen Wesensbezeichnung als Übernatürlichkeit ein direkter Widerspruch sein, wenn man nicht in beiden Motiven die Tendenz sehen will, die Gnadenlehre einmal im negativen Sinn zu überwinden, zum Ändern sie im positiven Sinn umzudeuten. Unter diesen beiden Gesichtspunkten muß Ed<harts Gnadenlehre betrachtet werden, denn ein im kirchlichen Sinn „korrekter“ Gnadenbegriff ist für ihn unmöglich geworden. Der Knecht Gottes braucht die Gnade seines Herrn, aber zwischen Freunden und Vater und Sohn ist die Gnade ein Widersinn und

#36) TV 560 ff.

7) u.@) Pf. 87: — Qu. 58,1 ff: Es ist sant Pauli wort, dä er sprichet: „allez, daz ich bin, daz bin ich von der gnäde gotes“ (I. Cor. 15, 10)... Daz diu gnäde in im was, des was nöt; wan diu gnäde gotes worhte in im, daz diu zuovellikeit vollebrähte das wesen. Dö diu gnäde endöte und ir were vollebrähte, dö bleib Paulusalser was. Cues]Joh. 122 vb. (Karrer, D. Göttl. 16): Rogamus Deum... ut quod sumus per naturam, appareat ad ymaginem per graciam et similitudinem. "

#38, Pf, 94: 306, 21: 100: 323,12 ff.

0) Pf, 41: 159, 57—140,8; 62: — Parad. 110,5 ff; 95: 504, 534. Dies Motiv ist wiederum thomistisch ef. De Ver, qu. 27 a. 1e u. ad 1,2,5.

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