Der Gottesbegriff meister Eckharts : ein beitrag zur bestimmung der methode der Eskhartinterpretation

so sagt er, man könne das esse, vivere und intelligere auf eine zweifache Weise betrachten: hinsichtlich des An-sich-seins und des teilhabenden Subjekts. Nach der ersten Weise sei das esse das Erste, das vivere das Zweite und das intelligere das Dritte, Nach der zweiten jedoch sei das intelligere das Erste, das vivere das Zweite und das esse das Dritte (Gey. 8,1821). Dagegen setzt er kategorisch: Ego autem credo totum contrarium. In principio enim erat verbum, quod ad intelleectum omnino pertinet, et sie intelligere teneat primum gradum in perfectionibus, deinde ens vel esse (Gey. 9, 1ff).

Dieser Gedanke, daß das Erkennen den höchsten Grad von Vollkommenheit habe und darum nobilior sei, nimmt auch in den Objektionen der Quaestio des Gonsalvus einen breiten Raum ein bei der Bestimmung des Vorrangs der Erkenntnis vor dem Willen.

Bezüglih der Artder Vorordnung sahen wir, daß das intelligere als fundamentum ipsius esse bezeichnet wurde (Gey. 7,11). Was ist unter dem Begriff des fundamentum zu verstehen? In Eckharts eigener Quaestio finden wir einen Ausdruck aus der Seinsmetaphysik: radix et causa omnium. Wir werden alsbald sehen, ob dieser Ausdruck noch ontologish zu verstehen sei. Aufschluß darüber geben uns die rationes Equardi der Quaestio des Gonsalvus. Dort heißt es in der 10, ratio: Est aliquid optimum, quia habet rationem optimi .... Tolle ob optimo rationem suam: nihil est. Gegen eine logische Ausdeutung könnte zunächst der damit im Zusammenhang stehende Satz sprechen: aliquid habet rationem optimi ex ipso esse, quia tolle esse, nihil est. Hier ist noch die scholastische Anschauung lebendig, daß, wenn auch die ratio optimi nur im Intellekt ist, sie dennoch als von den Dingen verursacht zu gelten hat. Nun müssen wir jedoch in Erwägung ziehen, daß, wenn immer vom intelligere die Rede ist, es zu gelten hat unter der Bestimmung inquantum huiusmodi: das Erkennen als solches, nicht als geschöpfliches oder göttliches. Daß diese Auffassung: „Erkennen als solches ist subsistent“, die historische Intention Meister Ec&kharts zum Ausdruck brinst, dürfte aus der Heftigkeit, mit der Gonsalvus ihn zu widerlegen sich bemüht, eindeutig hervorgehen. Demgegenüber erscheinen Argumente rein scholastisch traditionellen Gehaltes wie Gey. 10, 5ff: Differt nostra scientia a scientia Dei, quia seientia Dei est causa rerum et scientia nostra est causata a rebus ... für die Ausdeutung seiner Lehre hinsichtlich ihres systematischen Gehalts nicht entscheidend, sofern der Philosophiehistoriker die Aufgabe hat, die Sinnrichtung eines Gedankengebäudes aufzuspüren, wenngleich jene in dem Gesamtbilde nicht fehlen dürfen.

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