Der Künstler zwischen Westen und Osten

Jakob Böhme ° 163

Man muß sich Jakob Böhme vorstellen, wie er durch das Felsgeklüfte, durch Wald und Wiese wanderte und das Buch der Natur mit Hilfe der Signaturen zu lesen versuchte. Er mußte sich dabei gestehen, daß die ehemalige Natursprache, die magisch war und die Dinge hervorbrachte, immer intellektueller wird. Adam Kadmon, der makrokosmische Mensch, benannte alle Geschöpfe und goß dabei sein eigenes Leben in sie. Damals war er noch ‚in der Tinktur‘‘, aufgehoben im Schoße Gottes, gehegt vom Himmel. Nach seinem Fall ins Irdische, nach seiner Verfestigung im Erd-Elemente, verlor er die Gabe, Namen zu geben, die wesenhaft waren. Aber er konnte noch lesen. Die hebräische, griechische und lateinische Sprache tragen, nach Jakob Böhme, noch die Spuren der Natursprache an sich. Aber sie ersterben nach und nach. Oder vielmehr der Mensch vermag sie nicht mehr lebensvoll zu erfassen. In diesen Sprachen schrieb Pilatus über das Kreuz: „Jesus von Nazareth, der Juden König.“ So sind sie selber gekreuzigt worden. Sie müssen vom Kreuze gelöst werden.

Wie das Wort „lag“, kann auch das Wort „Abend“ erlebt werden. Spürt man nicht schon beim bloßen Klange, wie die Dämmerung emporsteigt und die Erdbewohner umhüllt?

Oder das Wort „Nacht“. Man kann es aus der Brust hervorstoßen als Grauen und Alp, als schwarze Gewalt. Oder als Engel des Alls empfangen. Es kann ein Kerker werden, mit Finsternis erfüllt, oder ein Himmelsdom, an dem die Sterne erglänzen.

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