Der Künstler zwischen Westen und Osten

Moderne Lyrik 219

Der Tod des Christus ist es, der ıhn die letzten Jahre seines Lebens fast ausschließlich beschäftigte. Immer sehnsüchtiger suchte er die Geheimnisse zu lüften, die er barg. Er ging mit dieser Sehnsucht, die Gebiete jenseits des Todes zu schauen, zur Ruhe, er erhob sich mit ihr wiederum zum Tagewerk, er durchtränkte sein ganzes Denken damit. Er nahm alle Kräfte zu Hilfe, welche Menschen urbar gemacht haben: die Inbrunst Nietzsches, die Demut Dostojewskis, die „anschauende Urteilskraft“ Goethes und zuletzt die geisteswissenschaftlichen Methoden Rudolf Steiners. Und diese führten ihn zur Pforte.

Wenn man Christian Morgensterns „Stufen“ studiert, kann man erkennen, welche lange und strenge Schule dieser Geist durchmachte, bis seine Ahnungen vom Übersinnlichen zu klaren Einsichten wurden.

Er brauchte nicht von seinem bisherigen Wege abzugehen. Indem er das Ich ausbildete, so daß es bei allen Anstürmen des Schicksals, bei Krankheit und Zerfall des Leibes in sich selbst beruhen konnte, gelangte er dazu, zu erkennen, daß es einen geistigen Ursprung hat, daß es schon existiert, bevor der Körper entsteht, daß es aus früheren Leben herstammt.

Und indem er das Ich liebefähiger machte durch die Hingabe an die Welt, durch Dienen und Demut, durch das Ertragen dessen, was vergänglich ist, erlebte er, daß es dem Zerstieben des Stoffes nicht unterliegt, sondern sich hinüberschwingt in ein Dasein, das weitergeht, wenn der Leib zerfällt.