Die Geſchichte des Weltkrieges 1914/17.

118

Illuſtrierte Geſchichte des Weltkrieges 1914/17.

einmal ein Kenner wie M. Padogin treffend geſagt hat: - „Wix find Tataren vom Scheitel bis zur Sohle. Wenn wir niht von irgend jemand Befehl erhalten, ſo ſind wir unglüd>li<, weil wir niht wiſſen, was wix mit unſeren Händen und Füßen anfangen ſollen.“ Das Rad des bürger= lihen Umſtuxzes rollte im Sturmlauf dem Abgrund dex allgemeinen Anarchie zu; von den Ofktobriſten und Kadetten

glitt die Macht unverſehens in die Hände des Soldaten=Den Anſtiftern der UmwäßHzung ſtieg

und Arbeiterrats. das Waſſer bis zur Kehle; da rettete Kerenski die Lage. Er allein durfte es, im Rütten gede> dur ſeinen Bauern=-

anhang, wagen, in die vorläufige Regierung einzutreten.

Er wurde Juſtizminiſter und ſhlug damit die Brü>e über

die Kluft zwiſhen Sozialiſten und Kadetten, um alsbald

deren Führer, Miljukow, zu Fall zu bringen. Mit. dem ruſſiſhen Mirabeau aber verſhwand àäu< der Oktobriſten=führer Gutſhfow, aus deſſen Abſhiedsworten deutlih die Urſache des ſchnellen Sturzes der Männetx, die dem Zaris=

mus das Rü>grat gebrochen hatten, zu erfennen war: die.

überwiegende Friedenſehnſu<ht im Volk. Armee und

Volk aber find niht zu trennen, und ein Volksfrieg kann

niht ohne oder gegen das Volk geführt werden. Wenn alſo das Unerwartete Ereignis wurde und Kerenski ohne jede Vorbereitung und irgendwel<he Kenntniſſe vom Miliz tärweſen die Stelle .

Garibaldi, ja als Napoleon gefeiert.

die ex früher verbrannt, und redet und redet und redet. Denn Stilübungen mit dem Mund, niht Taten und ernſte Reformarbeit mit Kopf und Hand ſind es, wovon das umgeſtürzte Rußland lebt. Er ahmt in ſeinen Anſprachen an die Truppen das Abbild ſeiner Vorgänger nah, redet den Engländern na<h dem Mund und tiſht das Märchen von der Anſtiftung Rußlands zum Verrat ſeiner Bundes-

genoſſen dur< die Mittelmächte auf. Das Pfund und die Londoner Heßhpreſſe und die Botſhaft am Zarizi Lg =

regiert in Rußland unter wie unter bürgerlihem.

Verehrer und — Verehrerinnen haben Kerenski als i Von der lächerlihen Parallele zum großen Korſen abgeſehen, hinkt auh der Vergleih mit dem italieniſhen Volfshelden, der dur< ſein eigeñes Beiſpiel der Verſöhnung der Maſſen mit einer freiheitlihen und nationalgeſinnten. monarhiſhen Regierung in vorbildlicher Tapferkeit die Gaſſe bra<h und von ſeinem unauslöſ<hlihen Saß gegen das päpſtlihe Kirchenregiment niemals abwich, auf allen Füßen. Der Sozialiſten- |

ſozialiſtiſhem Regiment ſo gut

führer iſt vielmehr der ehte, re<te, unvergleihlihe Ruſſe, - Der an einem Tag ebenſo ſeines Volkes Größe vergöttert und in Siriushöhen ſteigert, wie er anderen Tags, der ihm

angeborenen Zwieſpältigkeit, Traumhaftigkeit, ZerriſſenSS heit feines Weſens

Gutſhfkows einnahm und Kriegs=miniſter wurde: war da niht zu erwarten, daß man in Petersburg endlih die Nugloſigkeit weiterer Kämpfe im Vaſallendienſt Englands einſehen und die von Ber=lin aus dargereihte Friedenshand er=greifen würde? Weit gefehlt! Wieder einmal _zeigte ſi, daß in - Rußland die politiſhen Dinge meiſt den Lauf nehmen, der dem vom ge=meinen Menſchen-

gemäß, ähnlih dem Barſüßermönh

-Gorfis verzweifelt:

__„Brüdex, Wir zerplaßen noh. alle, bei Got! Und warum? Weil unſer ganzer Jnhalt überflüſſig und unſer ganzes Leben nußlos iſt.“ Und dieſer Tag des ZuU-

ſammenbruhs

Tann nihtmehx fern ſein. Der Shwind=ſucht verfallen, mit dem Mal des Todes geftennzeihnet, wird Kerensfki glei<h einem Licht, * das vor dem Auslöſhen no<mals

verſtand erwar=- hell auffla>œert, Miz teten Kurs \tra>s M 4 niſterpräſidentund entgegengeſetzt iſt. => — ſpricht von der leßzZunächſt Élagte Ke=- : - Phot. Welt-Preß-Photo. Wien. toy, heldenmüti= rensfi in beweg- Öſterreichiſh-ungariſche Fernſprecherabteilung Ona auf dem Bormarjeh durch gen Kraftanſtrenlicher,tränenerſti>- E gung in orakelhaf=

ter Rede, niht im Märzſturm aus dem Leben geſchieden zu ſein mit dem damals berehtigten Traum, daß im zariſhen Reih ein gänzlih neues Leben aus den Ruinen der geſtürzten Willkürherrſhaft zu habe. Dann aber beſinnt ex ſi, daß der Zypreſſenſ<mu>

ſolher Elegien wohl auf das Grab eines weltflüchtigen -

Träumers, niht aber in den Shüßengraben einer kämpfenden Armee paßt, geht nah der Front und ſpriht von der eiſernen Zucht, „die er niht kenne, aber einführen wolle, um die eroberte Freiheit bis zur verfaſſunggebenden Verſammlung zu erhalten“. Jſt dies ſhon Tollheit, hat es do ſeine natürlihen Beweggründe. Die allgemeine Verwirrung iſt bereits ſo groß, daß jeder, auh noh ſo pazi-

fiſtiſh geſäuerte Machthaber ſih nur dur<h Anrufung des

Kampfwillens der Armee, dur< Ablenkung der inneren Sorgen und Nöte nah außen, glaubt dur<ſeßen zu können. So ſeßt ſih das Tragikomödienſpiel in immer ſeltſameren Formen fort. Kerenski ſchlägt ſi<h die Toga des Pro=fonſuls und Liebhabergenerals um die Lenden und feuert

die Truppen zum letzten, entſheidenden Kampf gegen das |

germaniſ<he Barbarentum an. Er verſöhnt ſih mit den

Prieſtern, über die er ehedem geſpottet, und läßt ſie, während

bei Brzezany die Shlat tobt, vor den Kirchentürèn und auf der Gaſſe um Sieg beten. Er ſtreut Auszeihnungen aus, verleiht rote Fahnen an die Sturmtruppen,- ſpornt ſie zum Kampf mit glühenden Worten an und drahtet — exlogene Siegesberihte na<h der Newa.

ſprießen begonnen

Er betet alle «Gößen an,

ten Phraſen, in brüderlihem, auf ſozialiſtiſhe Dhren .bere<netem Tonfall zur Truppe, die zum geringſten Teil aus Parteiangehörigen der Jnduſtriearbeiterſhaft, zum weitaus überwiegenden Teil aus Bauern beſteht, die den Frieden wollen. So wird ihm die Geſchichte einſt eine Hauptſ<huld an dieſem ſhlimmen Abend eines mit überſ<hwenglihen Hoffnungen begrüßten Sonnentags beimeſſen. - Auf ſeinen Grabſtein paßte keine Inſchrift beſſer als das Römerwort:

Nil aequale homini fuit Uli, nil fuit umguam

Sic impar sIibI. :

Niemand war jenem Menſchen glei, niemand ſi<h un-

gleicher als ex. : : :

BAE

Brzezany. | -

Von Dr. Friß Wertheimer, Kriegsberichterſtatter der „Frankfurter

Zeitung“. (Hierzu die Bilder Seite 119.) Von allen galiziſ<hen Provinzſtädten, die ih im Kriege

ſah, iſt vielleiht Brzezany die reizvollſte.. Sie iſt gar oft

im Heeresberiht „genannt worden. Denn die von dem Weſtufer der Narajowkà bei Lipnica Dolna in das Hügelgelände der Podoliſhen Shweiz nah Nordoſt umbiegende

_Front macht hier eine ſharfe Wendung. nah Norden und

führt in wenigen Kilometern Entfernung vom Stadl innern halbkreisförmig herum, über den Zlota Lipa-z

‘abſchnitt hinüber zur Ceniowka, ihrem Nebenflüßchen, ‘hinauf. An dieſer galiziſchen Fronte>de war eigentli

°