Die Physiognomie des Menschen

Merkmale heraussuchen, die nur diesen Tierarten und nicht anderen gemeinsam sind. Dann sollte man Merkmal und Eigenschaft abwechselnd daraufhin untersuchen, ob jedes Tier mit diesem Merkmal auch die entsprechende Eigenschaft hat und jedes Tier mit dieser Eigenschaft auch das entsprechende Merkmal, und ob jedes Tier ohne diese Eigenschaft auch das entsprechende Merkmal vermissen läßt. Um klarer zu sein, scheint es mir ratsam, ein Beispiel herauszugreifen. Wenn man beim Löwen als Zeichen seiner Stärke große Gliedmaßen findet, wird man auch bei anderen starken Tieren diese Zeichen antreffen müssen, also z. B. bei Stier, Pferd und Wildschwein, die ebenfalls große Glieder haben und stark sind. Daraus kann der Physiognomiker den Schluß ziehen, daß alles stark ist, was große Glieder hat. Um aber bei der Wahl der Zeichen nicht fehl zu gehen, müssen wir, da doch mehrere Eigenschaften und Zeichen vorhanden sind, zunächst überlegen, welches Zeichen dieser oder jener Eigenschaft entspreche. Der Löwe hat z. B. die Eigenschaften Freisinn und Stärke und die Kennzeichen hohe Stirn und große Glieder. Um nun nicht lange zu schwanken, ob die hohe Stirn Freisinn oder Stärke bedeute, muß man folgendermaßen vorgehen. Man wird Stier, Pferd und Wildschwein und andere starke Tiere aufmerksam betrachten, und wenn man sieht, daß sie große Glieder haben und weder freisinnig sind noch hohe Stirnen haben, wird man erkennen, daß eine hohe Stirn Freisinn und nicht Stärke bedeute. Danach sind dann andere freisinnige Tiere zu suchen, die auch hohe Stirnen haben. Daher sollten alle, die diese Wissenschaft treiben wollen, mit viel Sorgfalt die Entwicklung der Tiere studieren, um ihre Eigenschaften und Gewohnheiten und ihren Körper und seine einzelnen Teile genau kennen zu lernen, denn da liegt der Angelpunkt unserer Kunst. Man soll auch nicht außer Acht lassen, daß manche Zeichen angeboren sind, manche aber erworben;

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