Die Physiognomie des Menschen

schwere Feuchtigkeit. Beide hätten große Körper, jene durch den Reiz ihrer Hitze, diese durch ihre ernährende Feuchtigkeit. Die in der Mitte liegenden Länder haben das richtige Mischungsverhältnis, sind zu allem fruchtbar und zeigen angemessene Körpergestalten mit mittlerer Farbe, sanften Sitten, klaren Sinnen und fähigem, umfassendem Verstand. Ihnen gehört die Herrschaft, die niemals den anderen Völkern zufiel. Nach Vegetius sollten als Soldaten nur Nordländer angeworben werden: wer von der Sonne gebrannt sei, wisse zwar mehr, habe aber weniger Geblüt und scheue wohlwissend den Anblick von Wunden. Die vollblütigen Nordländer dagegen seien äußerst kampflustig, aber, da sie fern von den Gluten der Sonne lebten, unverständiger. Hierzu sagt Lucian: „Wer unter warmer Sonne im Morgenlande geboren, sanft und klar ist sein Sinn, der Milde des Himmels entsprechend. Wessen Wiege jedoch in kaltem, eisigem Land stand, der ist zum Kampf bestimmt und bis zum Tode beherzt.“ Ovid schildert die sittenlosen Thraker in der Person des Tureus mit folgenden Worten: „Schön ist er von Gesicht, doch tief in Geilheit versunken, wie auch sein ganzes Geschlecht in Unzucht und Laster erstickt.“ Was bisher aus den Schriften der Gelehrten zitiert wurde, braucht nicht restlos zu stimmen, doch wird man sich in den meisten Beziehungen darauf verlassen können. Apulejus’®) z. B. macht darauf aufmerksam, daß der weise Anarcharsis unter den trägen Skythen geboren wurde und der törichte Melecides unter den verständigen Athenern. Was wir von den Menschen sagten, kann man auch bei den Tieren sehen: die Habichte, Falken und Adler sind größer und stärker in den nördlichen Ländern; in kalten Gegenden entstehen große Körper, die viel Blut und kräftigen Geist haben mit großer Kühnheit und Wildheit, und in anderen Ländern äußern sich Stärke und Kühnheit entsprechend anders.

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