Europa und Asien : oder Der Mensch und das Wandellose : Sechs Bücher wider Geschichte und Zeit

Dieser durchaus logifizirende Glaube, man weiß nicht soll man sagen von außermenschlicher Gewalt abhängig zu sein oder außermenschliche Gewalt vom Menschen aus bestimmen zu können, überzieht das ganze riesige Land mit einem Netze unverbrüchlicher schicksalbestimmender Gebote und Bräuche. Und zwar ist hier der für Europa so kennzeichnende Gegensatz von Schönheit und Zweckmäßigkeit, ästetischer und etischer Werte völlig überwunden. Was der Mensch als zweckmäßig erkennt und übt, ist eben der gleiche Rhytmus, der auch als . - Schönheit auf Erden in allen Gestalten offenbar wird. Somit ist nirgendwo aui Erden, am wenigsten aber in Europa, das Geistige (Logos und Etos) so tief dem Leben eingesenkt (immanent) geblieben und so wenig ein ‚Reich für sich‘ (transzendent) geworden. Kein Chinese könnte daher verstehen, in wie fern denn der Mensch ‚der Bürger zweier Welten‘ sein solle. (Darum ist der in Deutschland immer wiederholte Vergleich von Kant und Koniutse wohl das Verständnisloseste was je über chinesische Seele gesagt ist) ....

Es ist ganz richtig, daß im heutigen China, in welchem ebenso viele rohe und unerzogene Menschen leben, wie überall auf Erden, die Staatswirtschaft der Mandarinen entartet ist, (nicht am wenigsten durch den Einfluß der weißen Gefahr, d.h. durch den von Amerika und England aus eingedrungenen kapitalistischen Erwerbsgeist); aber den Grundsätzen nach ist auch heute noch China die sowohl naturnächste als geistigste Volkheit der Erde....

Auf den italienischen Tafelbildern des I5ten Jahrhunderts besteht die Regel, daß die Madonna und das Jesuskind weit einfacher gekleidet sind, als die sie umschwebenden Heiligen und diese wiederum minder prunkhaft als die ihnen dienenden hohen Kirchenfürsten. Man denkt dabei an jene hübsche Anekdote von Friedrich dem Großen, welcher an den Rand der Anzeige, daß ein unbotmäßiger Bürger Gott gelästert, den König beschimpft und den Bürgermeister beleidigt habe, folgende Randbemerkung niederschrieb:

„Daß Er Gott gelästert hat, muß Gott mit ihm ausmachen; Daß er mich beschimpft, verzeih ich ihm; Weil er aber den Bürgermeister beleidigte, so wird er bestraft.“

Dieses Gleichniß erinnere an Chinas Herrschaftsideal. Es wird geleitet von dem Grundsatz, daß der ärmste und machtloseste auch die mindesten Lasten und das leichteste Leben

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