Europa und Asien : oder Der Mensch und das Wandellose : Sechs Bücher wider Geschichte und Zeit

heit der Natur oder die Herrlichkeit des Menschenleibes. Das Christentum aber stellte in den Mittelpunkt seiner Bilder einmal das noch form- und gestaltlose Jesuskind und sodann den gar nicht mehr ausdrucksfähigen Leichnam. Kind und Leichnam wurden von Tausenden gemalt und gemeißelt. Aber grade an dieser. für die Sinnenkunst eigentlich zerstörerischen Aufgabe mußte die neue Innigkeit und Innerlichkeit sich entiachen wie Funken am harten Stein. — Dieser Menschheitshang, die Dornen des Lebens in Rosen zu verwandeln, beschränkt sich aber keineswegs auf Krankheit und Leiden, auf ‚den Piahl im Fleische‘, den ‚Wurm im Gewissen‘, den ‚Stein des Anstoßes‘, welche im Christentum zu Bewährungsmitteln der Lebens- und Gemütskräfte werden, so wie aller Wider- und Gegen-stand zu einem Prüfstein auferbauender Menschentat. Es gibt auch einen christlichen Hang zum logischen Martyrium. Scheinen nicht Geister wie Blaise Pascal und Sören Kierkegaard, ja auch Torquemada oder Dante geradezu darum zu bitten: „Bringt mir das Unverträglichste und Widersinnigste, damit ich im Paradox Gott und im Zerbeißen des härtesten Steines die Selbstrechtfertigung meines Glaubens erlebe? Man kann dabei an die wunderliche Bemerkung Friedrich Hebbels denken: „Judas ist der allergläubigste. Er muß den Heiland martern, denn nur wenn Jesus jede Probe besteht, so ist er der Heiland.“

Ich verweise damit auf den Kern des sileren Abendlandes. Niemals erstrebte. Europa wie das Morgenland die Erlösung des Menschen vom Leide durch Verneinung des Willens schlechthin. Unfähig den Knoten des Wollens ganz zu entschürzen und tatverzichtend entspannt sich dahinsinken zu lassen, macht Europa aus der Not eine Tugend und aus den negativen Gewalten der Menschenwelt die Stufen zu einem Reiche menschlicher Tatgewalt und menschlicher Würde. Nur indiesem Sinne wendet sich Christus an die Mühsäligen und Beladenen. Bejahung des Leidens als einer Schwinge zur Ewigkeit ist aber auch Bejahung der Einzelseele und ihrer leidvollen Grenzen. Vergleichbar dem Spiele von Wärme und Kälte in der Natur, muß Freude erweitern, muß Schmerz verengen; muß die Betonung der störenden und geist-erschafienden Gewalt auch immer in sich schließen: Betonung des Be w u ßtseins. — Nie zuvor hat ein Glaube kräftiger aufgestaut und versteift: das Einziekeitsbewußtsein und Persönlichkeitswertgefühl des Menschen. Das ‚Heil der Seele’ das heißt: