Europa und Asien : oder Der Mensch und das Wandellose : Sechs Bücher wider Geschichte und Zeit

=. 188 Natur?) hätte anspruchsvolleren Köpfen schon andeuten können der fragenweckende Titel: Die Entstehung der Arten! Denn Arten sind Bilder, welche im wachsenden Leben wohl von uns wahrgenommen nicht aber entstehend gedacht werden können.

Ein noch so weiter Spielraum der Veränderlichkeit innerhalb jeder für unsre Wahrnehmung bestehenden Art kann uns nicht berechtigen, die unermeßliche Zeugungsfülle der Gestalten umzuzwängen in eine lineare Abfolge; grade als ob Frühling, Sommer, Herbst und Winter; Geburt, Blühen, Welken und - Sterben bloß ‚Entwicklung‘ sei und nicht auch ein gleichzeitig mit und in einander lebendigesEreignen. — Freilich! So lange es sehende Menschenaugen, fühlende Menschenherzen gibt, ist immer wieder erkannt worden die Wesensgleichheit, Zusammengehörigkeit, ia Allverwandtschaft von Pilanze,

Kristall, Tier und Mensch. Wie aber dürite diese Gewißheit, daß ein und dieselbe schöpferische Triebgewalt in allem Gestaltenreichen obwaltet, dank deren jede Gestalt das wird was sie werden kann, uns berechtigen, alle Naturformen umzudenken in eine auf? Menschen Hin zugeschnittene

genetisch-historische Ahnenkette?

Das ist nicht mehr Naturwissenschait! Das ist der Glaube unsres christlichen Europas.

Die verhängnisvollste, weil durchaus praktisch-politische Wendung- nahm dieser Fortschritts-Entwicklungs-Glaube schließlich in der Form der mit dem Namen „historischer Materialismus‘‘ bezeichneten Wirtschaitslehre, als Karl Marx, (ein hochgestimmter scharisinniger, aber in seinem menschlichem Verhalten zum Beispiel zu Bakunin gelegentlich auch enger Begrifisfanatiker), daranging zu ersetzen: die unabzählbaren Kreise und Ringe lebender Gemeinschaftsformen durch das einreihig lineare Abschnurren des der menschlichen Logik nachgearteten, mit der Sicherheit eines scheinbar organischen Wachstums zum Idealstaate hinführenden Geschichtsvorgangs stätiger Klassenkämpfe.

Damit gewann man eine Kulturphysik, welche alle Gestalten der neben- und durcheinander lebendigen Gemeinschaitsformen übersichtlich einzureihen vermag in eine umwiderleglich wissensstrenge, die ganze Menschengeschichte gewältigende Entwicklungsreihe. Nur schade! Marx und der Marxismus bekimmerten sich nicht darum, daß Geschichte und Gesellschaft vom Menschen ge dacht werden und daß,