Geschichte der auswärtigen Politik Österreichs im 19. Jahrhundert.
V. Stille Zeiten. 125
man in Konſtantinopel keine Neigung zeigte, auf die ehrgeizigen Pläne Mehmed-Alis einzugehen, bat der Vizekönig um die Jntervention der Mächte. Dieſe lehnten aber ab, und ſo blieb nur die Entſcheidung durch einen Krieg übrig. Jn der Türkei und in Ägypten rüſtete man mit großer Haſt. Jndes, der nahe bevorſtehende Ausbruch eines erbitterten Kampfes erfüllte die Großmächte mit Beſorgnis. Unter ihnen herrſchte auch keine Einigkeit, denn Frankreich ſtand unverrü>bar auf der Seite Mehmed-Alis, während England diesmal dem Prinzipe und der Tradition untreu wurde und den Oſtmächten ſeine Unterſtüzung lieh. Jmmerhin ſuchte Lord Palmerſton zwiſchen dem Sultan und dem ſelbſtbewußten Vizekönige zu vermitteln. Er regte an, daß die ſ<hwierige Angelegenheit auf einem Kongreſſe in London oder Wien geordnet werden möge. Das Projekt ſcheiterte aber, weil ſih die Großmächte nicht verſtändigen konnten.
Es kam zum Kriege. Jbrahim bereitete im Juni 1839 den türkiſhen Truppen eine vernichtende Niederlage und bald nach=her ging die Flotte des Sultans zu Mehmed-Ali über. Jn Konſtantinopel, wo in dieſer Zeit der ſiebzehnjährige Abd-ul-Medſchid das Szepter ergriff, ſtellte ſich ſogleich eine tiefe Niedergeſchlagenheit. ein. Aus der verzweiflungsvollen Stimmung ergab ſich der Wille zur Nachgiebigkeit, und die Pforte knüpfte mit dem Vizekönige Verhandlungen an. Da legten ſi<hdie Großmächte ins Mittel. Öſterreich, Preußen, Rußland, England und Frankreich beſtimmten den Sultan, auf dem eingeſchlagenen Wege nicht weiterzuwandeln und ihrer Einſicht zu vertrauen. Doch die Übereinſtimmung im Wollen iſt leichter zu erzielen als diè im Handeln. Der von Wien aus gemachte Vorſchlag, eine Konferenz einzuberufen, ſtieß ebenſo auf Widerſpruch, wie die Ratſchläge, die England und Rußland der Reihe nach erteilten. Frankreich durchkreuzte alle diplomatiſch ausgeflügelten Pläne, weil es ſeinem Schützlinge Mehmed-Ali einen vollen Sieg und nicht einen kleinen Vorteil zu verſchaffen wünſchte. Seit dem März 1840 ſtand an der Spige der franzöſiſchen Regierung eine neue Perſönlichkeit, Herr Thiers, der bekannte Geſchichtsſchreiber des Napoleoniſchen Heldentums. Dieſer kleingewachſene Mann ſchre>te vor den gewagteſten Mitteln niht zurü>, wenn es galt, ein einmal gefaßtes Vorhaben rüſichtslos durchzuführen. Hinter dem Rücken der andern Mächte wollte Thiers den Frieden zwiſchen Abdul-Medſchid und Mehmed-Ali ſtiften, um auf dieſe Weiſe mehr zu erlangen als bei gemeinſamen Verhandlungen der Staaten. Aber