Geschichte der auswärtigen Politik Österreichs im 19. Jahrhundert.
126 V. Stille Zeiten.
das fein ausgedachte Spiel wurde rechtzeitig dur<hkreuzt. Fm Juli beſchloſſen die diplomatiſchen Vertreter von Öſterreih,Rußland, England und Preußen in London mit kräftiger Hand einzugreifen und Mehmed-Ali ihre Bedingungen vorzuſchreiben. Innerhalb einer engbegrenzten Friſt ſollte er ſeine Entſchlüſſe faſſen. Wenn dieſe nicht befriedigend ausfallen würden, dann wollten die verbündeten vier Großmächte dem Sultan ihren Schug angedeihen laſſen. Schon vorher hatte Rußland auf ein ſelbſtändiges Vorgehen und auf ſeine durch den Vertrag von Hunkiar Skeleſſi begründeten Rechte verzichtet.
Der arme Thiers wurde nun von wilder Entrüſtung erfaßt. Die Ordnung einer großen europäiſchen Frage ohne Frankreich, meinte der aufgeregte Herr, ſei eine Beleidigung; jezt komme MehmedAli in zweiter Linie in Betracht, in erſter Reihe ſtehe die Ehre Frankreichs, die Genugtuung fordere. Umfaſſende Rüſtungen wurden eingeleitet; für die Befeſtigung von Paris allein ſollten hundert Millionen Francs aufgewendet werden. Die franzöſiſche Preſſe hezte gegen den Deutſchen Bund und die alte Sehnſucht nach dem Vormarſche bis an den Rhein meldete ſi<h wieder ungeſtüm. Aber auch auf deutſchem Boden ſchäumte die Kriegsbegeiſterung auf. Die Feſtungen wurden inſtand geſezt, die Gewehre von den Ständern genommen. Beer ſchuf in der richtigen Stunde ein Lied, das vieltauſendſtimmig widerhallte: „Sie ſollen ihn nicht haben, den freien deutſchen Rhein, ob ſie wie gier'’ge Raben ſich heiſer danach ſchrei’n !“ Das war eine ſturmvolle Zeit! Thiers ſelbſt wurde etwas bange, und er ließ dem verhätſchelten Mehmed-Ali nahelegen, es nicht bis zum Äußerſten zu treiben. Der Ägypter antwortete trozig, was er dem Säbel verdanke, werde er auh nur dem Säbel abtreten. Die Großmächte mußten alſo Ernſt machen. Jm September 1840 brachte eine vereinigte engliſ<h=-öſterreihiſ<he Flotte — die Donaumonarchie war allerdings bloß durch zwei Fregatten, eine Korvette und 23 Transportſchiffe vertreten ®) — türfkiſhe Truppen nach Aſien. Jbrahims Armee wurde geſchlagen und Mehmed-Ali abermals als Rebell erklärt und aller ſeiner Würden und Stellungen beraubt. Doch die Vorgänge jenſeits des Mittelländiſchen Meeres berührten die europäiſchen Staatsmänner jezt faſt weniger wie die ſchicſalsvolle Frage: was wird Frankreich unternehmen ?
1) Carl Ritter von Sax. Geſchichte des Machtverfalls der Türkei bis Ende des 19. Jahrhunderts. Wien 1908.