Gesicht und Charakter : Handbuch der praktischen Charakterdeutung : mit zahlreichen Kunstdrucktafeln, Zeichnungen und Bildtabellen

sittsame Maske zu mengen, so daß das Lächeln nunmehr nicht nur Zeichen der ruhigen Heiterkeit, sondern zugleich der Kontaktanknüpfung wurde, in deren Dienst sich auch wieder die kontaktlockernden Momente der Abwendung stellten, die dann, in der Koketterie, zum verschleierten Kontakt wurde (Martha Eggerth X, 5).

Und immer wiederholt sich der Prozeß der Entwicklung von der Zuwendung über die gehemmte Befriedigung bis zur Sittsamkeit und dann wieder zurück zur raffinierteren Zuwendung. Die Endglieder können extrem verschieden aussehen: auf der einen Seite die Heilige, die bei weiblichstem Reiz ihre Selbstverleugnung auf die Spitze treibt (Heilige Barbara in der Sixtina, Tafel V) und die Dame (Greta Garbo in „Wilde Orchideen“ X, 1), deren verschleierter Kontakt ewig die Frage offen läßt: Zuwendung oder Abwendung, Ja oder Nein? Dies also ist das Geheimnis, das nach all den Wechselfällen so unlösbar ungewiß geworden ist, daß wieder die Physiognomie ihre zuverlässige Anzeichennatur verliert. Dies ist die Vollkommenheit der weiblichen Maske, und sie mag es sein, die etwa auch ins Lächeln der Mona Lisa hineingesehen wird. Wer bürgt aber dafür, außer dem Ernst des Malers, daß nicht auch die Selbstverleugnung der heiligen Barbara eine ungewisse Deutung ist mit demselben Deutungsspielraum, ob wir gleich nicht der Meinung mancher Kritiker beipflichten, die ein kokettes Lächeln darin sehen.

Und da schließlich das ganze weibliche Geschlecht diesen immer wiederholten Weg der Zu- und Abwendung durchgemacht hat, lebt etwas von dem unvergänglichen Reiz jener Ungewißheit und jenes Geheimnisses in jedem ausdrucksvollen weiblichen Antlitz. Daher können wir allgemein von einer weiblichen Maske sprechen, deren vollständige Auflösung in jedem Fall ein schweres Problem ist (vgl. später beim Formniveau). Der Anteil der Schmachtstellung an der weiblichen Maske wurde schon gewürdigt. So atmet zum

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