Gesicht und Charakter : Handbuch der praktischen Charakterdeutung : mit zahlreichen Kunstdrucktafeln, Zeichnungen und Bildtabellen

Gesichts ohne Hintergründe, also der unverschleierte Kontakt (Frau Montessori IV, 8). Nun tritt das leidenschaftliche Begehren hinzu in der Form der Saug- und Kußstellung (Mathilde Heine IV, 9). Aber so darf sich das Weib in der Regel nicht zeigen, und darum mischen sich Komponenten der Versagung ein, die die Schmachtstellung bilden (Duse X, 6). Auch das ist noch zuviel: das Weib muß im Schmachten lächeln, ja endlich so tun, als ob es überhaupt nicht mehr schmachtete (Vergine IV, 6). Die moderne Frau löst das Problem so, daß durch rein künstliche Mittel die kindliche Maske angeschminkt wird (Anny Ondra X, 8), bis sie mit mehr oder weniger Glück die Jungmädchenmaske getroffen hat (Brink X, 3), in der das Schmachten auf kultivierterer Stufe wieder zugunsten des süßen Mundes und eines freien, also die Befriedigung vortäuschenden Lächelns aufgegeben ist. Trotzdem ist das Antlitz gegenüber der Ausgangsstellung ein anderes geworden, und der Kundige erkennt die Schmachtstellung auch im Jungmädchenantlitz. Wer sagt uns, daß das weibliche Gesicht nicht wirklich im Lauf der Zeiten diese Entwicklung durchgemacht hat, mit dem Ausgangspunkt der schrankenlosen Zuwendung zur Zeit des Mutterrechts, als es noch durchaus nicht schön nach unseren Begriffen gewesen sein dürfte, sondern bäurisch, plump und derb — bei den Tieren, auf die ja der Mensch entwicklungsgeschichtlich zurückgeht, ist vielfach das männliche Geschlecht das schönere. Erst die Umwandlung in die männerrechtliche Gesellschaft hat die Frau zum Besitz des Mannes und zum Objekt der geschlechtlichen Zuchtwahl gemacht, ihr die Unbefriedigtheit aufgezwungen, mit dem Befehl endlich, sie sich gar nicht merken zu lassen und ewig mit dem zufriedenen Lächeln einherzugehen. Um so besser, wenn dies nur an der Oberfläche gelang und in der Tiefe weiter das Begehren glimmte. Um so besser, wenn das Weib die Kunst erfand, es wieder als Reiz und Würze unter die

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