Gesicht und Charakter : Handbuch der praktischen Charakterdeutung : mit zahlreichen Kunstdrucktafeln, Zeichnungen und Bildtabellen

Capone rohe Grobschlächtigkeit, zeigt Heine intellektuelle Losgerissenheit und Wurzellosigkeit.

Erinnern wir uns an die drei Bilder Shakespeares (II, 9). Das erste brachte uns den Empfindungs-, das dritte den Willensmenschen; beide genügen uns nicht, sie sind in der reicheren Einheit des dramatischen zweiten Bildes enthalten, das noch die Triebschichten hinzufügt.

Wir bemessen also den Wert einer Physiognomie und damit auch des ihr zugrundeliegenden Charakters in erster Linie nach dem Reichtum und der Vollzähligkeit seiner Ausdrucksschichten. Wir wollen den F achausdruck, den Ludwig Klages für den Wert einer Physiognomie und ihrer Ausdrucksformen in der Handschrift geprägt hat, auch für die Mimik beibehalten und ihn das Formniveau nennen.

Nicht eigentlich die Derbheit oder F einheit der Körperform entscheidet hier. Unser Schwarzer Arbeitsloser (XV, 2) zeigte uns manche feine Züge über seiner urtümlichen Rassengrundlage. Schon bei den Edelformen des Mundes von Bach (VI, 4) und Lessing (VIII, 2) sprachen wir von der immer wiederholten Durcharbeitung der Kleinformen durch die umwegige, vielfach - gehemmte und immer wieder zu höherer Befriedigung findende Funktion. Die Entstehung der weiblichen Maske bot uns ein ganz großes Beispiel, wie die veredelten Formen zur zweiten Natur werden, wie das, was im Verlauf der individuellen Entwicklung vieler Generationen erworben wurde, dann erblich wiederkehrte, wie das, was anfangs Ausdruck war, zur Körperform wurde — erinnern wir uns auch an den jüdischen Ausdruck —, wie also die Oberflächenschichten in die Tiefe sinken und immer neue Schichten durch weitere Verfeinerung sich darüber aufbauen; so entstand ja überhaupt die Vielschichtigkeit; immer wieder erreicht der Ausdruck seine frühere Gestalt, die Befriedigungsstellung einer Funktion, z. B. der Saug- und Kußfunktion oder der Genußfunktion auf einer höheren

257