Gesicht und Charakter : Handbuch der praktischen Charakterdeutung : mit zahlreichen Kunstdrucktafeln, Zeichnungen und Bildtabellen

Wir kommen also zu dem Resultat, daß, solange es sich nur um ergiebige Objekte für unsre physiognomische AnaIyse und nicht um die Diagnose in einem praktischen Fall aus dem Leben handelt (vgl. den Absatz über die Ver“ fahrungsweisen des Physiognomikers), es uns ganz einerlei sein kann, was wir vor uns haben, ob eine Photographie oder ein Gemälde oder eine Zeichnung oder eine Buchreproduktion, um so mehr als viele Bilder, die wir bearbeiten, schon einigen dieser Verfahren nacheinander unterzogen wurden. Meist geht natürlich durch die Reproduktion auch etwas vom Ausdrück verloren, so daß das Bild immer unbestimmter und der Deutungsspielraum immer mehr erweitert wird.

Das weitaus meiste, was uns unterkommt, ist ein Mittelgut des oberflächlichen Ausdrucks, ungefähr wie bei der Tonwiedergabe durch die gewöhnlichen Schallplatten oder Lautsprecher, bei der so und so viel Obertöne verloren gehen. Und dies ist zuletzt auch der Maßstab, nach dem wir unser Bilderarchiv ordnen. Es haben uns aber, um gerecht zu sein, auch mittelmäßige Bilder oft ganz gute Dienste geleistet, da es uns ja nicht in jedem Fall auf eine erschöpfende Analyse ankam. Ein Minimum an Ansprüchen freilich werden wir stellen müssen, alle grobrastrierten Zeitungsklischees wie auch schlechte und leblose Zeichnungen scheiden von vornherein aus. Wie wir aber auch solchen schlechten Bildern noch etwas abgewinnen können, werden wir im nächsten Abschnitt sehen.

Auch ausdrucksmäßig nicht schr brauchbare Bilder können für uns rein theoretisch lehrreich werden. Wir können, um den Gegensatz zu zeigen, unfruchtbare Momente des Ausdrucks (Fußballer XV, 1) fruchtbaren gegenüberstellen (Straßenmusikanten XV, 2). Einer allzu glatten Wiedergabe, wie der Kaisermaske Napoleons (III, 2) müssen wir wegen der Unterschlagung des Ausdrucksreliefs mißtrauen, das

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